Kapitel 10: Adelige und das Volk

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Wir ließen unsere Pferde vor einer Schenke stehen und begaben uns auf den Marktplatz.
Pyero hatte den Kragen von seiner Jacke hoch aufgestellt und ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden. Er war sichtlich nervös, versuchte es mir gegenüber aber nicht zu zeigen.
In der Mitte des Platzes war eine Bühne aufgestellt worden.
An hohen Stöcken waren Lampionketten angebracht, die alles in ein warmes organenes Licht tauchten.
Über uns glitzerten unendlich viele Sterne. Es war eine wundervolle Sommernacht.
Pyero legte mir vorsichtig einen Arm auf die Schultern. Seine Berührung löste ein Kribbeln in mir aus und ich konnte es nicht verhindern rot zu werden. Zum Glück würde Pyero dies bei den warmen Licht um uns herum nicht bemerken.
Er führte mich durch die Massen, die sich immer dichter um die Bühne drängten.
Neugierig blickte ich von der ersten Reihe aus nach oben und wartete, dass das Schauspiel begann.
Nach einem langen trommeln der Musiker, die rechts am Rande der Bühne saßen, betrat ein junger Mann das Holzgestell.
Er trug einen langen eng geschnittenen blutroten Mantel, dessen Ärmel mit goldenen Ornamenten bestickt waren. Ich erkannte daran sofort, dass er Nevary darstellen sollte. Nicht nur seine typische Kleidung war gut von dem Schauspieler nachgemacht worden. Auch seine schulterlangen leicht welligen pechschwarzen Haare und seine Art sich zu bewegen erinnerten mich sofort an den Herrscher von Alayron.
Er breitete gebieterisch die Arme aus und erntete sofort Buhrufe der Menge. Einige Menschen riefen sogar Schimpfwörter oder warfen mit faulen Obst und Gemüse.
Doch das störte den Schauspieler
nicht weiter. Ganz im Gegenteil, er wollte sogar das Volk provozieren und aufbringen.
Nachdem sich die Leute wieder einigermaßen beruhigt hatten, trat eine junge Frau auf die Bühne.
Ich schluckte hart, als ich merkte, dass es sich eindeutig um mich handelte.
Die Frau trug einfache dunkle Kleidung und hatte schneeweiße Haare.
Geschockt starrte ich zu Pyero hinauf, aber der war zu sehr mit dem Schauspiel beschäftigt.
Ich konnte nicht verstehen, warum diese einfachen Menschen wussten, dass meine Haare weiß werden würden, wenn ich meine Drachenseele annehmen würde.

Die Macht der Feuerwesen beeinflusste nämlich nicht nur die Kräfte der Träger, sondern auch das Aussehen.
Nevary hatte früher wunderschöne dunkelbraune Haare und blaue Augen gehabt, so wie ich sie hatte und auch Masyla unsere Mutter.
Doch weil er seine Seele in die Dunkelheit gestürzt hatte, waren seine Haare und Augen nun pechschwarz.
Da ich eindeutig die Gute von uns war, wurde mir erklärt, dass beim Erwecken der Seele meine Haare weiß werden würden und meine Augen extrem Hellblau.
Ein weiterer Grund, warum ich meine Macht nicht erwecken wollte. Mein Aussehen war mit das einzige, was mich noch an meine geliebte Mutter erinnerte.

Ich zwang mich dazu meine Konzentration wieder auf das Spektakel zu richten.
Die beiden Schauspieler waren nun in einen erbitterten Kampf verwickelt. Immer wenn Nevary einen Schlag kassierte jubelte die Menge, bei meinem Schauspiel-Ich stöhnte die Menschen und jammerten. Zum Glück waren diese Menschen auf meiner Seite.
Doch der Schreiber dieses Stückes war es eindeutig nicht.
Nevary durchbohrte die Frau mit einer Attrappe eines Schwertes und diese ging theatralisch zu Bogen.
Mir blieb die Luft weg. Es fühlte sich fast an, als hätte der Schauspieler mich ermordet und nicht nur eine Schauspielerin.
Plötzlich stürmte eine Menschenmenge von Schauspieln hinauf, die Nevary zu Boden rissen.
Während sie so taten, als würden sie erschlagen, trat ein Sprecher an den vorderen Rand des Podestes.
"Liebe Bürger von Lumres. Wie ihr sehen konntet, schaffte es Prinzessin Salira nicht den Tyrannen Nevary zu töten. Ich weiß, das ist sicher ein sehr überraschendes Ende für euch, aber alles hier hat seinen Grund.
Wie können nicht darauf warten, dass das Prinzesschen auftaucht und uns rettet. Dafür hielt sie sich schon zu lange im Untergrund. Und nun nach sechs langen Jahren der Unterdrückung ist es nun an uns es selbst in die Hand zu nehmen. Wir, das Volk werden all dem hier ein Ende setzen. Es ist unsere Aufgabe."
Der Mann mit dem lockigen grauen Haar schrie in die Menge und diese jubelte zurück. Er verstand eine Masse aufzubringen.
Bei seinen Worten wurde mir speiübel. Sie hätten den Glauben in mich verloren. Ich war ihnen egal geworden. Ich gehörte nun auch nur zu den Adeligen, die nichts gegen Nevary unternahmen. Und war ich nicht selbst Schuld an dem allen? Ich war verschwunden und hatte sich vor meiner Verantwortung als Prinzessin und Trägerin der Drachenseele gedrückt.
Panisch nach Luft ringend kämpfte ich mich durch die Menge. Ich vernahm dumpf Pyeros rufe von hinten, der wissen wollte was los war.
Doch ich konnte nicht stehen bleiben.
Erst als ich eine verlassene Seitengasse erreichte verlangsamte ich meine Schritte und lehnte mich gegen die weiße staubige Wand.
Pyero tauchte in meinem Blickfeld auf und legte die Hände sanft auf meine Schultern.
"Was habt ihr denn?", fragte er besorgt. "Ist es wegen der Rede des Schauspielers? Darauf darfst du nicht so viel wert legen. Er will nur Zustimmung aus dem Volk. Die Massen hören gerne so einen Unsinn.
"Es ist nicht nur das", keuchte ich immer noch nach Luft ringend.
"Sie haben mich auf der Bühne sterben lassen. Die Frau mit den weißen Haaren. Das sollte ich sein. Und das Volk hat es nicht einmal bedauert."
"Wieso solltet ihr das sein?" Pyero war sichtlich verwirrt. "Sie hatte weiße Haare."
"Eben deswegen. Meine Drachenseele. Bei ihrer Erweckung würden meine Haare genauso aussehen. Ich verstehe nur nicht woher sie das wissen können?!"
"Ich verstehe...", flüsterte Pyero schließlich. Und dann tat er etwas, was meine ganze Situation gleich viel erträglicher machte.
Er stellte keine weiteren Fragen, sondern nahm mich einfach fest in den Arm und nuschelte in die Kapuze des Umgangs:"Es wird alles wieder gut werden. Das verspreche ich dir Salira".

Als ich mich an diesem Abend ins Bett legte, hingen meine Gedanken nicht mehr an dem grausigen Abend, sondern an Pyero. Er hatte mich geduzt, was mir wirklich viel bedeutete. Es ziehmte sich normalerweise nicht für Adelige Unsere Standes diese Ansprache zu benutzen, aber dadurch fühlte ich mich geborgen und sah ihn als wahren Freund. Vielleicht sogar als mehr.
Er hatte mich noch zu meinen Gemächern begleitet und sich tausend Mal entschuldigt, dass er mich zu diesem Schauspiel gebracht hatte. Dabei konnte er ja wohl nichts dafür, dass sie genau so ein Stück aufführen würden und ich so wenig Kritik abkonnte.
Ich umschlang mit meinen armen den dunklen Filzmantel zum Pyero, den er mir zum Schluss geschenkt hatte. Sein Duft war noch in dem dichten Gewebe. Ich vergrub meine Nase in dem Stoff und fühlte mich dabei äußerst kindisch. Doch die Nähe einer vertrauten Person war es, die ich jetzt brauchte. Da kein Mensch bei mir war, musste der Umhang wohl genügen.
Mit den Gedanken bei dem blondhaarigen Prinzen sank ich schließlich in einen traumlosen Schlaf.

Time to ReignOnde histórias criam vida. Descubra agora