13.

9K 998 241
                                    

Harry

Während Annemarie mir in Richtung des Waldes folgte, überkam mich ein seltsames Gefühl. Ich konnte mir nicht erklären, was nun passieren sollte und außerdem wusste ich nicht einmal, ob überhaupt irgendetwas passieren sollte. Mir ist nicht entgangen, wie sie mich angesehen hat, nachdem ich sie aus Pattons Zelt geholfen habe. Wie auch? Sie tat es extrem auffällig, fast ohne Scham. Es passte nicht zu dem Verhalten, das sie noch letzte Nacht aufwies, in dem sie mir zitternd aus dem Weg ging.

„Also", sagte ich, als wir im Wald standen. Ich sah mich um, ob jemand in der Nähe war. „Du kannst jetzt ... Tun, was auch immer du tun musst."

Ich hörte, wie sie mehrere Schritte hinter mir stehen blieb, sich jedoch nicht mehr bewegte, weswegen ich mich zu ihr umdrehte. Sie stand mit den Händen hinter dem schmalen Rücken verschränkt dort und sah mich mit großen Augen an. Sie wirkte unsicher und ihr rechter Fuß strich langsam durch die alten Blätter.

„Was ist?", fragte ich sie und schob die Brauen zusammen. „Es ist niemand hier."

Man konnte sehen, dass sie schluckte, bevor sie mit ihrer sanften Stimme sprach. „Gehst du sicher, dass niemand hier ist?"

Ihre Frage verwirrte mich, doch ich ging nicht darauf ein. „Ich denke schon", antwortete ich, ließ es aber wie eine Frage klingen. Wieso hatte sie überhaupt gewollt, dass ich hier mit ihr war, wenn sie so verunsichert mit gegenüber war?

Ich war es gewohnt, dass Mädchen oder Frauen, gar Männer Respekt vor mir zeigten, doch bei Annemarie ließ es mich wie einen Unmenschen fühlen. Ihre kleine Schwester und sie machten so einen verdammt unschuldigen Eindruck. Allein wie ihre Haltung war. Schmale Schultern, sie schienen ständig angespannt, dünne Waden, die unter ihrem Kleid hervorkamen und die dünnen Arme. Es war ein Wunder, dass sie nicht dicker war, als die vielen Frauen, die ich unterwegs auf der Reise traf, die nicht einmal ein Zuhause hatten. Normalerweise waren Mädchen, die in guten Häusern wie sie, lebten, gut bestückt.

Normalerweise hatten aber auch Mädchen, die ich traf, nicht solch blaue Augen wie Annemarie sie hatte.

„Aber kannst, du ähm, dich wegdrehen?", holte mich Annemarie aus einer Starre, in der ich ihre blauen Augen betrachtete.

Ich blinzelte und musste mich instinktiv schütteln. Ihr Blick hatte etwas Ergreifendes, es war unbeschreiblich. „Sicher", sagte ich schnell und drehte mich um. „Aber beeil dich, wir sind ziemlich weit von unserem Zug entfernt."

Ihre Schritte durch das Laub waren leise, doch noch hörbar. Sie ging nicht weit weg, es schien, als würde sie ein paar Blätter zur Seite fegen. „Ist es sehr gefährlich?", fragte sie mich nach ein paar Sekunden.

„Was?" Sie wollte ein Gespräch führen, während sie ...?

„Hier. Könnten wir angegriffen werden?"

Ich sah mich mehr in der Gegend um, ging ein zweites Mal sicher, dass niemand hier war, der uns schaden könnte. Einfach aus Gewohnheit. „Unwahrscheinlich. Wenn es ein Trupp wäre, würde ich sie hören und einzelne Soldaten laufen nicht umher."

„Also ist es nicht gefährlich?"

„Doch, ist es."

Kurz sprach sie nicht und ich dachte, sie würde verstehen, dass es ziemlich merkwürdig sein konnte, sich mit jemanden zu unterhalten, der gerade uriniert, doch anscheinend täuschte ich mich.

„Kanntest du meinen Vater?"

„Nein", log ich und verschränkte die Arme. Mir gefiel es nicht private Gespräche mit Menschen zu führen, die ich nicht kannte.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt