123.

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Annemarie Dorner

Ich glaubte für eine ganze Ewigkeit vor dieser Haustür zu verharren, weil ich mich nicht traute, die Hand zu heben und an der Tür zu klopfen.

Es war bereits sehr spät am Abend, wahrscheinlich schlief bereits jeder im Haus, ich würde jemanden wecken und schlechte Laune verbreiten, worauf man mich mit einem Tritt in den Hintern fortschicken würde. Dann wäre ich aufgeschmissen. Denn ohne Kleidung und einen Schlafplatz ließ es sich nicht einfach um die Runden kommen, wenn man in einem Land ist, was man nicht kannte.

Aber ich musste es tun. Deswegen klopfte ich.

Und wartete.

Es passierte nichts.

Ich klopfte noch einmal.

Wenn es möglich gewesen wäre vor Aufregung zu sterben, wäre ich es wahrscheinlich genau jetzt.

Ich machte ein paar Schritte über die Veranda des Hauses und blickte durch das Fenster. Allerdings konnte ich nichts erkennen, außer den Stoff einer hellen Gardine.

Leise fluchte ich. Es regte sich nichts in dem Haus, absolut nichts. Ich sah mich schon jetzt alleine durch die Nacht laufen und nach einem Hotel suchen.

Für ein paar Sekunden überlegte ich, ließ meinen Blick über die Hauswand und die zwei Stühle wandern, dann beschloss ich, um das Haus herum zu gehen. Irgendjemand musste dort drinnen sein, der mein Klopfen hörte.

Gerade als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um durch das Fenster, das seitlich im Haus war, sehen zu können, begann es wieder zu regnen.

„Verflucht", konnte ich es mir nicht unterdrücken und ließ das Fensterbrett los. Mit schnellen, aber kleinen Schritten tippelte ich durch die Wiese, zurück zur Veranda.

In dem Moment, in dem ich mich auf die Treppe sinken ließ und mich an das Geländer lehnte, verfluchte ich alles. Die Tatsache, dass mein Koffer fort war, ich nicht wusste, wo ich war, ich nicht wusste, ob jemand in diesem Haus war und ich nicht wusste, wie ich wieder nach Hause kommen sollte, wenn diese ganze Reise umsonst war.

Wie konnte ich auch denken, dass das Glück auf meiner Seite stehen würde, wenn ich nach Amerika reiste? Das Schicksal wollte mir sagen, dass es ein Fehler war, Deutschland und meine Familie zu verlassen. Eindeutig. Ich sollte es bereuen.

Und ich tat es, während ich mein Kopf auf meine Knie legte und spürte, wie ich immer nasser wurde.

Was eine Tragödie. Ich saß hier mit nichts und hoffte auf ein Wunder. Nur würde mir dieses Wunder womöglich erst am nächsten Morgen begegnen, wenn ich erfroren war oder ein Bär mich angegriffen hatte.

Mir war egal, dass ich nass wurde. Ich sah scheußlich genug aus, schlimmer konnten meine Haare nicht mehr werden. Wahrscheinlich würden sie sogar besser liegen, wenn sie klitschnass waren.

Trotzdem musste ich mich fragen, was passieren würde, wenn ich Harry hier nicht antreffen würde. Den Brief, den mir seine Mutter geschickt hatte, war bereits ein Jahr alt, gut möglich, dass er schon lange nicht mehr hier ist. Was würde ich dann tun? Würde ich sie einfach anbetteln, mir eine Reise zurück nach Deutschland zu ermöglichen und dann einfach wieder gehen?

Würde es dieses Leben wirklich so weit kommen lassen?

„Ziemlich riskant."

Nur vage nahm ich die Stimme wahr, die mir von weiter weg zusprach. Der Regen, der auf meinen Kopf tröpfelte, erschwerte mir das Hören und sowieso war ich ziemlich müde. Ich hob den Kopf und blinzelte.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt