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Letztes Kapitel, omg

Anne

Ich lag auf dem Sofa, während Lisbeth und George bereits schliefen. Johanna war wach, das verriet mir ihr Weinen. Sie weinte, seitdem Harry fort war und als ich sie fragte, was los sei, meinte sie, sie habe sich nicht darauf vorbereitet, sich an diesem Abend von Willis zu trennen. Sie liebte ihn scheinbar mehr, als wir alle vermutet hatten. Woran das lag, das wusste nur sie.

Also lag ich da, mit den müden Augen an die Decke gerichtet, dem Schluchzen von Harrys Mutter im Hinterkopf und dem Wissen, Harry war irgendwo dort draußen, aufgebracht, weil ich keine Antworten kannte.

In diesem Moment wollte ich unbedingt zuhause sein. In meinem Bett liegen. Ich wollte, dass Annel an meine Tür klopfte und mich fragte, ob ich noch wach sei, damit ich ihr erzählen konnte, was mich belastete. Denn jetzt gerade war das eine ganze Menge.

Ich dachte an Tante Elisa und wie sie mir Tee kochen würde, weil sie mir die Ungewissheit ansehen würde. Und an Hubert, der mir oftmals weise Ratschläge gegeben hat, wenn er dann einmal wach war.

Aber wollte ich auch in Harrys Armen liegen und sein Herz pochen spüren. Ich wollte in seiner Nähe sein und ihm zuflüstern, dass ich ihn liebte und ich ihn niemals verlassen würde. Doch ich konnte es nicht. Ich fühlte mich schrecklich verlassen in diesem Haus, das nicht meines war.

Ich erinnerte mich an die eine Nacht, in der Anne mir Harrys Brief zeigte und mich fragte, ob wir für immer Schwestern bleiben würden, egal was passieren würde. Wusste sie, dass ich gehen und nie wieder zurückkommen würde? Brach ich mein Versprechen, indem ich genau dies tat?

Und selbst wenn ich zurückkommen würde, würde Harry Recht behalten, als er meinte, ich ließe mich von meinem Vater aufhalten? Mein Vater konnte mich bei meiner ersten Abreise nach Amerika nicht aufhalten, wieso sollte er es beim zweiten Mal tun? Oder beim dritten Mal?

Zugegeben, er wusste nicht einmal, dass ich abreisen würde, aber ich konnte mir nicht ausmalen, was er mir hätte antun müssen, um nicht sofort zu Harry zu gehen.

Ich sah immer wieder zur Haustür, weil ich endlich wollte, dass Harry zurückkam. Aber eigentlich wollte ich es auch nicht. Ich hatte noch immer keine Ahnung, was ich tun sollte und für einen weiteren Streit hatte ich keine Kraft.

Bis ich schließlich in Tränen ausbrach, als ich unbedingt Tante Elisa fragen wollte, was die richtige Entscheidung war. Ich stand auf, schnappte mir meine Handtasche und zog mir meine Schuhe an.

Ich würde gehen. Und Harry sollte mich nicht dabei sehen.

Der Gedanke, dass Annel womöglich gerade einsam zuhause war und ich nicht für sie da sein konnte, war unerträglich. Ich wusste nicht, wie ich überhaupt zurück nach Deutschland kommen sollte, doch ich würde das schaffen. Irgendwie. Ich musste.

Mit einem unterdrückten Schluchzen öffnete ich die Tür, in meinem Kopf schrie alles „DU BIST VERRÜCKT, NUN ZU GEHEN! WIE KANNST DU HARRY UND DIR SELBST SO ETWAS ANTUN, DU DUMME FRAU?"

Aber statt dieser Stimme in meinem Kopf, hielt mich ein Zug am Arm auf. Meine Handtasche hatte sich an dem Türknopf verharkt und der ganze Inhalt fiel hinaus. Schnell kniete ich mich hin, hielt den Atem an, um mit meinem Weinen nicht den Rest zu wecken.

Bis mir ein Stück Papier ins Auge stach. Es war eingeklemmt in der engen Seitentasche meines Gepäckstücks. Ich wollte es entfalten, da hörte ich leichtfüßige Schritte auf der Treppe.

Ich schreckte auf und sah Lisbeth, die in ihrem Nachtgewand die Stufen herunterkam. Ihr Haar war kreuz und quer, sie sah sehr schläfrig aus, wie sie so ihr linkes Auge rieb. „Anne?", hauchte sie, als sie mich verwirrt betrachtete.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt