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In der leerstehenden Styles-Villa soll es spuken.

Das erzählt man sich hier jedenfalls, und mir erzählt man es schon seit ich denken kann. Wir alle wussten nicht so recht, ob wir es glauben sollten; schliesslich gab es keinerlei Beweise, ausser angebliche Zeugen, die beim Abendspaziergang einen gespensterhaften Schatten hinter den zerrissenen Vorhängen zu sehen geglaubt hatten. Als Kinder wollten wir immer in die Villa einbrechen und uns umsehen. Gespenster und sonstiges übernatürliches Zeug, aufregend. Unsere Eltern hatten es uns jedoch immer verboten.

Laut Augenzeugen soll der Geist ein junger Mann sein, Harold Styles, im neunzehnten Jahrhundert brutal wegen einem angeblichen Dämon, von dem er besessen war, erstochen. Der Priester wurde kurz danach tot aufgefunden. Leute spekulierten, dass er das erste Opfer des Geistes gewesen war, aber es war immer noch nicht bewiesen.

Auch Mr und Mrs Styles' Leichen wurden gefunden; sie waren auf dem Grundstück hinter der Villa unsorgfältig verbuddelt worden.

Ich war mir nicht sicher ob ich die Geschichte glauben sollte, doch ein Vorfall, der vor drei Jahren passiert war, liess mich glauben, dass es Harold wirklich gab.

Damals hatte ein Junge, den ich bloss von der lauten Klappe, die er in der Schule hatte, kannte, wegen einer Wette einen Schritt in die Villa gewagt und wurde danach nie wieder gesehen.

Das ganze Dorf war geschockt und man sprach lange darüber, das Haus abzureissen, bis der Leiter dieses Projekts, als er das Gebäude inspizierte, auf mysteriöse Art und Weise aus dem Fenster der Villa stürzte und sich das Genick brach.

Ja, in Red Valley war echt viel los.

Zumindest für ein Dorf mitten auf dem Lande.

Für Jugendliche wie mich war es jedoch trotzdem langweilig dort zu leben. Die einzige Bar, die in Red Valley stand, war eine Biker-Bar, und die war meistens voll mit besoffenen, alten Männern.

Wenn wir etwas Spass haben wollten, mussten wir ins Nachbardorf gehen, und das taten wir an diesem Abend.

Meine beste Freundin Joleen und ich machten uns gegen dreiundzwanzig Uhr auf den Heimweg.

Wir beide hatten getrunken und der Alkohol pumpte uns noch immer durch die Adern. Wenn wir nicht so aufgedreht gewesen wären, hätten wir diesen Fehler vielleicht nie begangen.

Doch das wussten wir damals noch nicht.

Es war eine ruhige, klare Nacht. Die Sterne am Himmel waren sichtbar und warfen ein glitzerndes Licht auf das alte, zerrüttete und sagenumwobene Haus vor uns. Wir standen vor den zerbrochenen Fenstern der angeblichen Geistervilla und sahen empor. Es war das erste Mal, dass ich die Villa von Nahem sah.

„Sieht gar nicht so gruselig aus", meinte Joleen und trat näher an das verfaulte Gartentor heran.

Da konnte ich ihr nicht zustimmen; das Mondlicht schien auf das Haus und warf gespenstische Schatten an die Wände. In dem leichten Wind bogen sich die hüfthohen Farne und Gräser, mit denen der Vorgarten überwuchert war, und doch kribbelte etwas in mir. Eine gefährliche, explosive Mischung aus Aufregung, Nervosität und Freude.

Joleen stiess das Gartentor mit einem leisen Quietschen auf und wandte sich dann begeistert zu mir um.

„Vielleicht sollten wir das aufnehmen", lachte sie, „wie bei Paranormal Activity."

„Idiot."

Doch Joleen hatte bereits ihre heissgeliebte Kamera gezückt und sie auf das Haus gerichtet. Das rote Lämpchen begann zu blinken.

„25. August, 2013. Es ist jetzt dreiundzwanzig Uhr neunundvierzig, die Geisterstunde schlägt schon bald, und meine Wenigkeit befindet sich am wohl gruseligsten Ort in Red Valley." Sie drehte die Kamera so, dass sie direkt ins Bild grinsen konnte, dann richtete sie die Linse auf mich.

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