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„Du siehst verstört aus.“

Ich hob den Kopf und sah Alex ungläubig an. Was erwartete er von mir? Er hatte gerade vor meinen Augen einem Lebewesen den Hals umgedreht. Ich sah also wieder auf meine Hände in meinem Schoss, die ich verschränkt hatte.

Ich wusste nicht, wie lange wir warteten. Minuten fühlten sich wie Stunden an. Alex versuchte immer wieder, ein Gespräch mit mir anzufangen, doch ich blockte ab – ich wollte mich nicht mit ihm unterhalten.

Nach einer Weile schloss Alex die Käfigtür und versicherte sich, dass sie verriegelt war, dann war es wieder still.

Bis sich das Kaninchen bewegte.

Ungläubig lehnte ich mir vor, doch sofort spürte ich Alex‘ Hand an meiner Schulter, die mich zurückzog. „Geh nicht zu nah ran.“

Doch diese Warnung war nicht nötig. Ich schreckte bereits zurück, als ich in die milchig weissen Augen des Tieres blickte. „Der wichtigste Teil ist wie gesagt das Wiederholen des Prozesses. Das heisst, dass wir alles tun müssen, was wir vor gut einer Stunde getan haben – in genau derselben Reihenfolge.“Und das tat er. Ich sah ihm so aufmerksam wie möglich zu und bei ihm schien es ganz einfach zu sein, doch da war ich mir nicht sicher ob dem wirklich so war. Einige Male fauchte das Kaninchen und versuchte, die Gitterstäbe durchzubeissen und als Alex die Hand vorstreckte, um es herauszuholen, schnappte es nach seiner Hand. Im Gegenzug brach Alex ihm wie zuvor den Nacken und dann war der ganze Spuk vorbei.

Das Kaninchen lag tot in seinem Käfig und obwohl ich im Minutentakt zu ihm rübersah, bewegte es sich nicht mehr. Ich fühlte mich erschöpft, obwohl ich praktisch nichts getan hatte – und mein Magen knurrte laut.

„Hast du Hunger?“, fragte Alex, als er das hörte und ich sah hoch, nur um dann wieder wegzusehen.

„Das heisst dann wohl ja“, fuhr er fort, als mein Magen erneut knurrte und rappelte sich hoch, um in die Küche zu gehen. Als er weg war, griff ich nach dem Tuch, das am Boden lag und warf es über den Käfig. Ich wollte das tote Tier nicht weiter ansehen.

Ich stand auf und ging zum Sofa, welches an die Wand gerückt war und liess mich darauf sinken. Meine Lider fühlten sich schwer an. Ich war ausgelaugt, der Tag hatte mich mitgenommen und bis Alex zurückkam, war ich eingedöst.

Ich schreckte hoch, als er sich mit einem Teller in der Hand neben mich setzte und ihn mir anbot. Ich betrachtete die Tiefkühlpizza argwöhnisch, nahm dann aber doch einen Biss und bereute es nicht.

Wir assen schweigend, sprachen kein Wort bis wir fertig waren und Alex das Wort ergriff.

„Sag mal“, meinte er, als wir beide mit vollgestopften Bäuchen auf dem Sofa sassen und auf die rauchenden Kerzen vor uns blickten, „handelt es sich bei diesem Dämon, den du töten willst um einen bestimmten?“

Ich nickte knapp und fummelte dabei an meinen Fingernägeln herum. Blickkontakt versuchte ich zu vermeiden, selbst als Alex erneut sprach. „Willst du mir davon erzählen?“

Ich hielt inne. Nachdem er mir so sehr geholfen hatte, war es wahrscheinlich nur fair, ihm zu erzählen, was sich zugetragen hatte; und wenn ich ihn mir so ansah, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er mich auslachen und mir nicht glauben würde. Also setzte ich mich auf und wandte mich Alex zu, um ihm die Kurzfassung zu liefern.

„Und warum willst du ihm diesen Gefallen tun nach allem, was er getan hat?“ Ich wandte den Blick ab und erwiderte nichts darauf. Was hätte ich auch sagen sollen? „Ich verstehe das nicht. Es tut mir leid, aber wenn mir das widerfahren wäre, was dir passiert ist, würde ich unter keinen Umständen das Risiko umzukommen noch einmal auf mich nehmen und dahin zurückgehen.“

PhantomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt