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Harold liess mich, abgesehen von seiner ständigen Anwesenheit in meinen Gedanken, während den nächsten drei Tagen in Ruhe.

Auch wenn ich mich nun frei bewegen konnte, verliess ich den Keller kaum, höchstens, um einmal nach draussen zu gehen und frische Luft zu schnappen. Nachts schlief ich auf der Matte, auf der ich anfangs gelegen hatte, und morgens wachte ich auf, um einen Teller mit Essen und einen Kelch voll Wasser neben mir vorzufinden.

Auch wenn sich mein Inneres dagegen sträubte, zwang ich mich selbst dazu, einige Bissen zu essen, nur, um mich bei Kräften zu halten. Ich war mir vollkommen bewusst, dass ich nicht darauf zählen konnte, dass das Essen, das ich zu mir nahm, wirklich das war, was ich sah, denn ich wusste auch, dass Harold in meinen Gedanken und meiner Wahrnehmung herumpfuschen konnte.

Das Essen, meine Umgebung, die Matte, auf der ich schlief, die Mäuse, die ich in der Ecke fiepen hörte. Ich war mir nie vollkommen sicher, dass das, was um mich herum, geschah, echt war, und es machte mich verrückt.

Alles, was hier in diesem Haus passierte, konnte eine Halluzination sein.

Da mein Körper allerdings nicht schlecht auf das Essen reagierte, nahm ich an, dass Harold meine Gedanken in Ruhe gelassen hatte, was mich überraschte.

Allgemein war Harold in den letzten Tagen eher milde gestimmt gewesen und vielleicht hätte ich seine Gastfreundschaft sogar als nett bezeichnet, wenn ich nicht gewusst hätte, was er getan hatte.

Ich konnte es nicht verhindern, dass mich seine Worte über den Tod meines Vaters in meinen Träumen verfolgten. Jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, flammte Harolds Gesicht vor meinen Augen auf, weisse Augen und ein wahnsinniges Grinsen auf den Lippen.

Die spitzen Zähne glänzten dunkelrot und das Blut tropfte ihm aus dem Mundwinkel, während er begierig auf den vor ihm knienden und schreienden Mann hinabstarrte.

Es war eine dieser Nächte.

Ich fuhr mit einem Ruck aus dem Schlaf hoch.

Meine Brust hob und senkte sich schnell und unregelmässig, mein Herz pulsierte schneller als je zuvor, doch der ohrenbetäubende, gellende Schrei, schien nicht zu verstummen.

Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass das Geräusch aus meinem Mund kam und voller Schreck hielt ich mir die Hand vor den Mund, bevor ich mich ins Kissen zurücksinken liess.

Es war wieder dieser Traum gewesen.

Mein Herz klopfte nach wie vor schnell gegen meinen Brustkorb und als ich schliesslich unter der Decke hervorschlüpfte und vorsichtig Richtung Kellertür ging, erinnerte ich mich daran, was mir früher immer gegen Stress geholfen hatte: ein Bad.

Ja, ein Bad, das erschien mir gerade die beste Idee zu sein, und so leise wie möglich ging ich durch das Wohnzimmer in die menschenleere Eingangshalle.

Überall flackerten Kerzen, doch Harold war weit und breit nicht zu sehen. Die Holzfliesen unter meinen Füssen knarrten, als ich ging, und ich schlich, nach wie vor bedacht darauf, leise zu gehen, die Treppen hoch und zu der Tür, hinter der, wie ich mir sicher war, sich das Bad befand.

Der Raum war, wie die Gänge und der Rest des Hauses, von Kerzenschein erleuchtet und die Wanne in der Mitte des Raumes wirkte, trotz des traumatischen Erlebnisses, das ich gehabt hatte, als ich das letzte mal hier gewesen war, einladend auf mich.

Auch das Feuer im Kamin flackerte; ich erinnerte mich daran, wie Harold davor gestanden hatte und die Flammen sein Gesicht warm schimmern lassen hatten, ein Anblick, der fast zu schön war, um wahr zu sein.

PhantomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt