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Es vergingen einige Tage, die ich im Schatten des Kellers verbrachte. Der Hunger brannte meinen Magen aus und der Durst zerrüttete meine Kehle, obwohl Harold mir hin und wieder etwas gab, damit ich am Leben blieb, reichte es nie vollkommen, um mein Begehren zu stillen. Vielleicht war das sein Ziel; mich am Leben zu erhalten, nur, damit er mich leiden lassen konnte.

Der Regen war auch in den darauffolgenden Tagen nicht zu einem Ende gekommen. Ich war mir sicher, dass Überschwemmungen die Strassen unbenutzbar machten, so stark regnete es. Nichts ausser dem permanenten Prasseln der Regentropfen war zu hören, während ich tagelang in der gleichen Position erschöpft gegen die kalte Steinwand lehnte.

So wie auch an diesem Tag.

Ich war soeben aufgewacht.

Nachdem ich stundenlang Harolds Namen geschrien und mit den Ketten, die an meinen Armen festgemacht waren, gerasselt hatte, war ich eingenickt. Mein ganzer Körper fühlte sich eiskalt an; die Fesseln um meine Handgelenke behielten ihre tiefe Temperatur bei und kühlten meinen Körper herunter. Mein Atem ging rasselnd und meine Kehle fühlte sich aufgescheuert an.

„Harold?", flüsterte ich heiser.

Mit jedem Mal, mit dem ich einatmete, entfuhr mir ein leises, pfeifendes Geräusch und ich merkte, wie mir schwindlig wurde. Mein Überlebensinstinkt, der zwar deutlich geschrumpft, jedoch wieder auf unerklärliche Art und Weise vorhanden war, schrie nach Wasser, nach etwas Flüssigem, mit dem ich meine geschwollene und ausgetrocknete Kehle beruhigen konnte.

Die andere, deutlich stärkere Seite von mir, konnte den nahenden Tod kaum erwarten. Sie gierte geradezu danach, für immer zum Schweigen gebracht zu werden.

Mir entwich ein heiseres, kratziges und freudloses Lachen. Schon bald würde ich das alles hier hinter mir lassen.

In meinem Kopf ging alles drunter und drüber; alles um mich herum drehte sich, ich sah doppelt und als ich eine Hand hob, teilte sich das Bild vor mir in zwei Teile. Erschöpft lehnte ich mich zurück und starrte in die Dunkelheit, während aus meiner Kehle ein heiseres Summen zu hören war.

„Twinkle twinkle little star, how I wonder what you are", sang ich leise vor mich hin und legte den Kopf schräg, während meine Stimme durch den dunklen, muffigen Keller hallte. Es gefiel mir, wie das Echo meiner Stimme von den Wänden zurückgeworfen wurde. Ich fühlte mich dadurch weniger alleine. „Up above the world so high, like a diamond in the sky..."

Meine Stimmbänder schwollen durch die Beanspruchung noch mehr an und ich musste husten, was den Gesang für einen Augenblick unterbrach. „When the blazing sun is gone, when he nothing shines upon, then you show your little light, twinkle, twinkle all the night", flüsterte ich mit brüchiger Stimme und holte pfeifend Luft. Die darauffolgende Stille wurde nur von meinen flachen Atemstössen durchbrochen, bis ich ein entferntes Geräusch vernahm.

Ein lautes Poltern auf der Treppe kündigte an, dass jemand zu mir herunterstieg und die Tür öffnete sich einige Sekunden danach. Harolds schlanke Statur lehnte in der Tür. Sein dunkles Haar fiel ihm ins Gesicht und er beobachtete mich wachsam, ich starrte zurück und das einzige, was zu hören war, waren meine Atemzüge. Sein Blick hielt meinen fest und mein Körper begann vor Aufregung zu zittern, als keiner von uns den intensiven Blickwechsel unterbrach.

Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu und ich kniff meine Augen zusammen, da das grelle Licht einer Kerze mich blendete.

„Wie fühlt Ihr Euch?"

Seine Stimme klang vergnügt und freundlich und er hob die Kerze etwas an, damit sie mir nicht direkt ins Gesicht zündete. Der Hass auf ihn schwellte in mir an, doch ich beherrschte mich.

PhantomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt