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Der Regen trommelte am nächsten Morgen in schweren Tropfen gegen die Fensterscheibe des Wartezimmers auf dem Polizeirevier. Es war kurz vor neun Uhr morgens und ich starrte mit leerem Blick nach draußen, meine Hände im Schoss gefaltet. Die Wände im Warteraum waren in einem Grauton gehalten und ein Kunstwerk eines unbekannten Künstlers hing etwas schräg an der gegenüberliegenden Wand, unmittelbar darunter drei Plastikstühle. Auf genau so einem Plastikstuhl saß ich, die Frau, bei der ich Unterschlupf gefunden hatte, neben mir.

Sie hatte mir gestern gesagt, dass sie Johanna hieß und mir mit einem Lächeln das Stück Lasagne, das sie noch im Kühlschrank hatte, aufgewärmt.

Obwohl ich großen Hunger gehabt hatte, hatte ich nicht viel davon gegessen. Dies lag nicht daran, dass sie nicht gut war, im Gegenteil, sie war sogar fantastisch; allerdings war sich mein Magen einfach nicht mehr daran gewöhnt, normal große Portionen zu sich zu nehmen.

Gedankenverloren wickelte ich eine Strähne meines frisch gewaschenen Haares um den Zeigefinger und ließ sie dann wieder fallen.

Johanna neben mir blätterte in einem Magazin um und das Geräusch verschreckte mich ein bisschen, woraufhin mir ein erschrockener Laut entfuhr. Sie blickte mich entschuldigend an und legte das Magazin zur Seite.

„Ryanne?" Nervös begann ich, an meinen ohnehin bereits verunstalteten, nun jedoch sauberen Fingernägeln herumzukauen, ließ allerdings gleich darauf davon ab da mich das Geräusch störte.

Erst jetzt wandte ich den Kopf und blickte Johanna fragend an.

„Ich weiß, dass du anscheinend nicht gern redest, aber die Polizisten werden dir Fragen stellen, auf die du antworten musst, um den Grund für dein Verschwinden zu klären", meinte Johanna sachlich und ich öffnete kurz den Mund, schloss ihn jedoch gleich darauf wieder.

Ich wandte den Blick ab und starrte wieder in den Regen hinaus.

Mein Arm schmerzte immer noch ein wenig, allerdings nicht mehr so fest wie er es anfangs getan hatte - dennoch fühlte er sich schwer an. Harolds Gesicht erschien kurz vor meinem geistigen Auge und ich schüttelte den Kopf, um das Bild loszuwerden.

Ich nahm nur am Rande wahr, wie Johanna mich plötzlich dazu anwies, aufzustehen und wie ich an ihrer Seite den Gang entlang in ein Büro ging, wo mir gehiessen wurde, mich zu setzen.

Mein Blick wanderte sofort wieder aus dem Fenster, um den nicht weniger gewordenen Regen zu beobachten. Nichts hatte sich verändert. Die Tropfen trommelten immer noch so fest wie zuvor gegen das Fenster.

„Sie spricht nicht."

Johannas Stimme riss mich aus meinen Gedanken und zum ersten Mal erfasste ich meine Umgebung. Wir saßen in einem Büro vor einem großen Schreibtisch, drei Polizisten saßen uns gegenüber und sahen mich an.

Warum starrten sie mich so an?!

Das Adrenalin schoss sofort in meine Adern und machte meinen Körper dazu bereit, zu flüchten und als mich einer von ihnen anlächelte, verzog ich keine Miene.

„Hallo Ryanne", sagte er und die Worte hallten in meinem Kopf wider. Mein Mund blieb geschlossen, während ich ihn weiter anstarrte.

Ich konnte ihm nicht vertrauen. Der letzte Polizist, den ich gesehen hatte, hatte lieber sein eigenes Leben gerettet als dass er sich Harold gestellt und mich nach Hause gebracht hätte. Der Knall der Explosion des Streifenwagens lag mir immer noch in den Ohren - genauso wie Harolds weiche Stimme.

Meine Gedanken drifteten wieder ab und ich hörte mit halbem Ohr zu, wie Johanna schilderte wie sie mich gute zehn Meter von der Styles -Villa entfernt schwer verletzt und bewusstlos am Boden liegend gefunden hatte. Aus ihrer Erzählung konnte ich schließen, dass sie Harold nicht gesehen hatte und einige unnötige Details aus ihrem Privatleben konnte ich ebenfalls erhaschen; etwa dass sie einen Hund hatte und jeden Abend joggen ging. Doch das war alles so irrelevant dass ich an meinen Nägeln herumfummelte und meinen Blick durch das Büro schweifen liess.

PhantomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt