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Nur das leise Piepen der Maschine neben mir war zu hören, gemischt mit Johannas flachem, schwerem Atmen. Wir waren im Krankenhaus, genauer gesagt auf der Intensivstation. Johanna lag in dem klinisch reinen, weissen Bett vor mir, ihr völlig blutgetränktes Nachthemd war durch einen Unisex-Schlafanzug vom Spital ausgetauscht worden und zahlreiche Schläuche waren an ihren Körper attachiert. Völlig emotionslos beobachtete ich, wie auf dem Monitor neben dem Bett, etwa auf Augenhöhe, der Schlag von Johannas Herz aufgezeichnet wurde - wenn ich es mir nicht eingebildet hatte, war er während der letzten Minuten langsamer und schwächer geworden.

Doch konnte ich meinen eigenen Sinnen noch vertrauen, nachdem, was letzte Nacht passiert war? Wohl kaum. Ich beugte mich leicht vor, meine Locken fielen nach vorne und streiften meinen Handrücken. Ich zuckte zurück ab der feinen Berührung und zog die Ärmel meines Pullis so weit nach vorn, dass meine Hände ganz in dem losen Gewebe verschwanden. Die Wunde an meinem Arm pulsierte stark durch die Berührung des Stoffes und für einen Moment wurde mir schwindlig. Ich hörte mein eigenes Blut pochen, mein ganzer Körper fühlte sich so schlaff an. So, als wäre das Leben bis auf den letzten Tropfen aus mir herausgesaugt worden.

Mein Blick glitt über die vielen Geräte, die um Johannas Bett herum aufgestellt waren und dann wanderte er über die Wände. Als ich den Spiegel mir gegenüber bemerkte, sah ich weg. Ich konnte es nicht ertragen, mein Spiegelbild zu sehen. Zu sehr war ich angeekelt von mir, dass ich beinahe jemanden getötet hatte, der mir bloss helfen wollte - und dass ich es nicht mal bemerkt hatte.

Vorsichtig griff ich nach Johannas Hand und strich mit meinem Daumen über ihre Handfläche. Dabei fiel mir auf, wie kleine Schnitte die meinen zierten und gerade, als ich wegsah, öffnete sich die Tür und eine Krankenschwester streckte den Kopf hinein.

„Miss O'Donnell? Darf ich Sie bitten, das Zimmer zu verlassen? Der Doktor wird bald hier sein, um die Patientin zu untersuchen."

Ich starrte sie an. Sie blickte aus eiskalten, blauen Augen zurück und mir fiel auf, wie klein ihr Mund im Vergleich zum Rest ihres Gesichtes war, als sie gezwungen lächelte. Ich wandte den Blick wieder ab und starrte weiter auf den Monitor, der immer noch Johannas Herzschlag aufzeichnete. Wie gebannt stierte ich darauf, fast so, als wartete ich darauf, dass er stehenblieb, doch das tat er nicht.

„Miss O'Donnell", die Stimme war nun direkt neben mir. Etwas an den Worten störte mich und ich hob leicht den Kopf, sah sie jedoch nicht an.

„Nennen Sie mich nicht so."

Sie wusste offenbar nicht, wie sie darauf reagieren sollte, denn die Krankenschwester lachte kurz auf. „Aber Miss-"

„NENNEN SIE MICH NICHT SO!" Sie zuckte ab meiner Lautstärke zurück, ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Mein Herzschlag verlangsamte sich nun wieder, da ich in Dunkelheit gefangen war und als ich mich wieder beruhigt hatte, schlug ich meine Augen wieder auf. „Bitte... nennen Sie mich nicht Miss", sagte ich nun mit ruhiger Stimme. Fast zu ruhig.

An ihrem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass sie nicht verstand, was mein Problem damit war, doch ich tat es. Es erinnerte mich an ihn. Diese ständige Höflichkeit, dieses Miss, es trieb mich in den Wahnsinn.

„Na gut", meinte sie schliesslich und griff nach meinem Arm, um mich hochzuziehen, doch ich riss mich von ihr los. Völlig verstört blickte ich sie an und fuhr langsam der Wunde entlang, die nun, nachdem sie mich da angefasst hatte, unangenehm brannte.

„Vielleicht sollten Sie das untersuchen lassen", meinte sie leise und ich starrte sie bloss an.

Die Wunde hatte sich angefangen zu verfärben, die Haut schimmerte da, wo Paxton mich gebissen hatte, nun grünlich, doch ich wollte nicht, dass mich jemand anders als Johanna untersuchte. Ich vertraute niemandem ausser Johanna. Nicht einmal den Ärzten, die eigentlich dafür bekannt waren, dass sie Gutes vollbrachten.

PhantomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt