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Kurz bevor ich das Tor berührte, hielt ich inne.

Ich konnte nicht rein gehen. Nicht, wenn es dunkel war. Es regnete noch immer und mir war kalt. Doch ausser den Bäumen im Wald gab es nichts, was mir hätte Schutz geben können und in den Wald würde ich ganz bestimmt nicht gehen, da ich nun wusste, dass er zu Harolds Grundstück gehörte. Ich fluchte leise und blieb stehen. Obwohl mir meine Füsse wehtaten, zwang ich mich dazu, mich nicht hinzusetzen. Ich redete mir ein, dass ich nicht noch nasser werden wollte, indem ich mich in eine Pfütze setzte, doch in Wirklichkeit wollte ich mich davon abhalten, mich zu entspannen. Der lange Marsch hatte mich ausgelaugt. Ich spürte die Müdigkeit in jeder einzelnen Faser meines Körpers und wenn ich mich jetzt entspannte, würde ich in einigen Minuten zweifellos eindösen. Also ging ich vor der Villa auf und ab, mein Blick flackerte nervös im Sekundentakt zu ihr herüber. Wenn ich an mir heruntersah konnte ich erkennen, wie Wassertropfen sich von meiner Kleidung lösten, so durchnässt war ich.

Ob Harold bereits wusste, dass ich hier war?

Ich war mir dessen ziemlich sicher. Ich versuchte, meine Nervosität zu verstecken indem ich keine Miene verzog.

Meine Lider waren schwer und mit jeder Sekunde schien das Risiko, dass sie sich schlossen, zu wachsen. Doch zu einer Seite war es die Spannung in meinem Körper die mich wachhielt, zum anderen waren es die eiskalten Regentropfen die auf meine Haut fielen und erbarmungslos auf mich eintrommelten.

Es war eine Erleichterung, als ich sah, wie sich der Himmel langsam lichtete, doch der Regen blieb gleich stark. Die dunklen Wolken am Himmel liessen auf ein kommendes Gewitter hin schliessen und sobald ich mir sicher war, dass der Tag angebrochen war, stiess ich das Gartentor auf. Es war bloss angelehnt, was mich verwunderte. Es kostete mich Überwindung, den Schritt auf das Styles Areal zu machen. In dem Moment, in dem ich meinen Fuss auf den überwucherten, matschigen Weg zur Villa setzte, überkam mich eine eiskalte Welle der Angst. Die hochgewachsenen feuchten Gräser strichen mir an der Hüfte entlang, während ich mir meinen Weg zur Villa bahnte. Mit jedem Schritt, mit dem ich mich ihr näherte, schien sie bedrohlicher. Meine Instinkte drängten mich dazu, sofort umzudrehen und wieder wegzurennen, doch mein Kopf hielt dagegen. Es machte keinen Sinn mehr wegzurennen. Er hatte bereits gewonnen. Schleppend ging ich die Stufen hoch zur Tür und holte zitternd Luft.

In letzter Zeit fiel es mir schwer zu atmen. Es war als wären meine Lungen müde, als würde ihnen das Luft hinein- und hinauspumpen schwer fallen. Auch mein Herzschlag schien schwächer, unregelmässiger und holpriger als sonst. Ich fühlte mich krank.

Auch die Tür ins Haus hinein war einen Spalt weit offen.

Die Scharniere knarrten gut hörbar, als ich die Tür weiter aufstiess und dann eintrat. Mit dem Fuss trat ich aus Versehen in eine Pfütze und ich sprang sofort zur Seite, sah dann aber, dass deren Ursprung eine zerbrochene Flasche Alkohol war, die am Boden lag.

Ich holte tief Luft, dann ging ich weiter ins Haus hinein, jede einzelne Faser meines Körpers war gespannt. Die Gummisohle meiner Turnschuhe quietschten auf dem Marmorboden und als ich zurückblickte, sah ich, dass ich eine Wasserspur hinterliess. Aber das war mir im Moment egal. Meine Ohren waren auf das kleinste Geräusch geschärft und ich ging so leise wie es mit quietschenden Sohlen nur möglich war. Mein Blick wanderte über das mittlerweile vertraute Mobiliar und glitt dann über die vielen Scherben, die unter dem Fenster an der Front der Villa verteilt waren. Bei meinem letzten Besuch hier war es noch intakt gewesen und ich war mir sicher, dass der Backstein, der knapp drei Meter vom Fenster entfernt lag, der Verursacher der Scherben war.

Doch nicht die Tatsache, dass hier eingebrochen wurde, machte mir Angst – es war die Stille.

Im Haus war es mucksmäuschenstill.

PhantomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt