Engel oder doch bloss ein Mensch?

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„Hast du Hunger?", frage ich Sam. Nachdem wir uns voneinander gelöst haben, habe ich wieder diese Verbindung gespürt und ich bin mir sicher, dass auch er es gespürt hat. „Und wie", antwortet er und lächelt mich mit seinem umwerfenden Lächeln an. „Dann bestelle ich uns mal Pizza." Ich höre ihn zustimmend lachen und wähle die Nummer des Lieferservices und bestelle uns eine grosse Pizza und eine Flasche Rotwein. Auch wenn die ganzen Umstände da sind, freue ich mich darauf. Endlich wieder mal etwas Normales tun, etwas das nichts mit der Bewältigung der Vergangenheit oder sonst etwas was damit zutun hat. Einfach Pizza essen und reden. Zwanzig Minuten später trifft der Bote ein und während ich ihn bezahle, höre ich wie Sam noch immer telefoniert. Ich rieche an der warmen und etwas fettigen Schachtel und spüre, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft und freue mich schon darauf in ein grosses Stück hinein zubeissen.

Doch ich warte noch auf Sam, gebe ihm ein Zeichen durch die Scheibe, da er sich auf den Balkon zurückgezogen hat und sehe, wie er die Hand hochhält und mir so zeigt, wie lange er noch am Telefon festsitzt. Seufzend setze ich mich bereits auf die Couch und öffne die Flasche Wein, fülle die samtig rote Flüssigkeit in zwei bauchige Gläser und rieche auch an diesem. Der leicht fruchtige Geschmack steigt mir in die Nase, für fast dreissig Pfund möchte ich schon etwas erwarten. Als die Balkontür aufgeht und Sam reinkommt, atme ich innerlich auf, denn die Warterei hat ziemlich an meiner Selbstbeherrschung geknabbert. Denn einer Pizza mit viel Käse kann ich kaum widerstehen. „Tut mir leid, dass es solange gedauert hat, aber ich musste kurz Bescheid geben, wie lange ich noch vorhabe hier zu bleiben", meint er und lässt sich neben mich nieder. Ich öffne die Schachtel und nehme das erste Stück heraus und beisse genüsslich hinein, ignoriere die Hitze die unter dem Käse schlummert und nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie Sam mich ansieht. Ich drehe kauend den Kopf und sehe ihn fragend an, doch als er nichts sagt, schlucke ich den Bissen runter und spüle mit Wein nach.

„Was ist?", frage ich und lecke mir über die Lippen, was ihn anscheinend ziemlich fasziniert, denn sein Blick wird dunkel, was mich leicht schockt. „Nichts, nur finde ich es schön endlich mal jemand zu treffen, der sich nicht nur ausschliesslich von Salat und Wasser ernährt", witzelt er und beisst ebenfalls genüsslich in sein Stück Pizza. Ich tue es ihm gleich und überlege was ich darauf antworten soll, während ich kaue. „Isst denn deine Freundin nie mit dir Pizza?" Die Frage ist raus, bevor ich darüber nachgedacht habe, doch zurücknehmen kann ich sie jetzt auch nicht mehr. Sam hält einen Moment inne, ehe er einen grossen Schluck Wein nimmt und mir antwortet. „Mackenzie ist auf vieles allergisch, deshalb ist ihr Speiseplan ziemlich eingeschränkt und ich mache solidarisch mit." Ich höre heraus, dass er dies als Opfer sieht und das ehrt ihn als Mann sehr, denn nicht jeder würde auf seine Freundin Rücksicht nehmen. „Ist sicher nicht leicht, für euch beide", erwidere ich und sehe ihn lächeln. „Wie man es nimmt, ab und an gönne ich mir dann doch etwas."

Ich ziehe eine Braue nach oben und mustere ihn. So wie er aussieht verbringt er die meiste Zeit im Fitnessstudio, da kann ich mir kaum vorstellen, dass er sich ab und an so etwas wie Pizza oder einen Burger gönnt. „Dann hatte ich ja genau die richtige Idee mit der Pizza, was?", scherze ich und stupse ihn mit meiner Schulter an, doch bei der Berührung ziehe ich scharf den Atem ein. Denn ich habe das Gefühl das Funken sprühen und winzig kleine Impulse durch unsere Körper schiessen. Ein wahnsinnig intensives Gefühl. „Du siehst aber auch nicht so aus, als würdest du dir jeden Tag eine Pizza reinziehen", erwidert er und lässt mich für einen kurzen Moment innehalten. Ich lege das Stück Pizza zurück in den Karton und schnappe mir mein Glas und nehme zwei kleine Schlucke davon. Versuche damit etwas Zeit verstreichen zu lassen, denn ich habe keine Ahnung was ich darauf antworten soll. Doch es einfach so stehen zu lassen, kann ich auch nicht. Also atme ich tief ein und wieder aus, ehe ich antworte. „Seit damals hatte ich nie grossen Hunger. Meine Familie musste mich praktisch dazu zwingen etwas zu essen. Eine weitere Bürde die mir auferlegt wurde", antworte ich nach einer Weile.

September - KEIN TAG OHNE DICHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt