Zu viel für einen Tag

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„Was soll das heissen, sie sind verschwunden?", frage ich aufgebracht. „Wie kann das geschehen? Ich dachte sie wären bewacht worden?", mischt sich Vincent ein. Seine Stimme klingt genauso aufgebracht wie meine, denn mit dieser unfassbaren Nachricht, könnte unser Vorhaben Dibala endlich Dingfest zu machen, ein für alle Mal gescheitert sein. Der Kollege sieht uns mit grossen Augen an, scheint von unseren Fragen überfordert zu sein. Doch dann reisst er sich zusammen und erklärt uns die Sache. „Der Transporter, der die Frauen an einen geheimen Ort bringen sollte, wurde überfallen", rattert er hinunter.

Ich schnappe nach Luft und suche nach Vincents Hand, keine Ahnung wieso. Aber irgendwie brauche ich etwas woran ich mich festhalten kann. Denn das ist eindeutig zu viel, viel zu viel für einen Tag. Ich bin müde und erschöpft, gehöre eigentlich in ein Bett. Doch es bauscht die Wut auf, die sich in meinem Innern festgesetzt hat, seitdem ich zusammen geschlagen wurde. Und genau diese Wut, die wie ein Feuer in mir lodert, gibt mir neue Kraft.

Kraft die ich dringend brauchen werde, wenn das alles vorüber ist, dann kann ich mich ausruhen. Doch bis dahin, heisst es Zähne zusammen beissen und weitermachen. „Stellt einen Suchtrupp auf, wir müssen die Frauen finden. Und zwar lebend", sage ich mit scharfer Stimme. „Aber der Chief...er muss das genehmigen", stammelt der Kollege. Dessen graue Augen etwas wässrig aussehen, mir tut mein harscher Tonfall schon wieder leid und ich lege meine Hand auf seine Schulter. „Sicher muss er das und er wird es", sage ich und schaue zu Vincent.

„Ich werde mit ihm reden. Dibala steckt dahinter. Er hat die Frauen verschwinden lassen und wenn wir sie nicht rechtzeitig finden, dann sind sie in höchster Gefahr. Denn Dibala wird sie nicht leben lassen, nicht, wenn sie ihm tot mehr als lebendig nützen", sage ich und sehe Vincent nicken. „Du hast Recht, ich rede mit dem Staatsanwalt und du mit dem Chief." Ich nicke und bevor wir uns trennen, halte ich Vincent auf. „Wegen vorhin...", setze ich an. Doch wie zuvor ich, unterbricht mich Vincent und sieht mich intensiv an.

„Das hat Zeit, die Frauen haben Priorität." In seiner Stimme schwingt so etwas wie Sehnsucht mit, doch es ist nicht der richtige Zeitpunkt um darüber zu reden. Also nicke ich und gehe nach oben, klopfe zweimal an und trete ohne auf das „Herein" des Chiefs zu achten ein. „Was soll das?", stösst er aus. Auf seinem Gesicht bildet sich eine steile Falter, die sich noch tiefer in seine Haut gräbt, während ich ihm die Sachlage schildere. „Wir brauchen einen Suchtrupp, Chief, es ist wirklich dringend. Die Frauen...", weiter komme ich nicht, die Tür fliegt auf und Vincent tritt ein. Wieder schnappt der Chief nach Luft, doch Vincent lässt ihn nicht zu Wort kommen. „Wir haben den Standort des Transporters geortet. Schicken Sie nun einen Suchtrupp, oder müssen wir da alleine hin?" Überrascht über seine grobe Art, schiesst eine Braue des Chiefs nach oben und seine stechenden Augen blicken meinen Partner prüfend an.

„Ich übersehe einfach Ihre direkte Art, Detective Keller. Aber da die Sache dringend ist, stellen Sie Ihren Suchtrupp zusammen und finden sie die Frauen", das Letzte ist an uns beide gewandt. „Vielen Dank Chief Ward. Kommst du?", fragt er mich. Ich nicke und zusammen verlassen wir das Büro unseres Chefs. „Alle die nicht hier gebraucht werden, kommen mit uns", ruft Vincent durch den Raum, als wir unten angekommen sind. Einige nicken, packen ihr Zeugs und kommen auf uns zu, andere wiederum schauen uns nur seltsam an und scheinen nicht zu verstehen wie gefährlich das Ganze werden kann. Doch schlussendlich haben wir zehn Leute die mit uns mitkommen, Verstärkung durch das SWAT-Team werden wir vor Ort kriegen. „Ich hätte nie gedacht, dass dieser Tag noch schlimmer werden würde", sage ich, während ich in Vincents Wagen einsteige.

Aus dem Augenwinkel sehe ich wie er mir einen vielsagenden Blick zuwirft und den Motor startet. „Hoffen wir, dass wir noch rechtzeitig ankommen", sage ich. Vincent drückt aufs Gas und prescht durch die Strassen Londons. „Hattest du Glück beim Staatsanwalt?", frage ich bezüglich des Haftantrages für Dibala. Doch als ich sehe, dass er den Kopf schüttelt fluche ich innerlich auf. „Er meinte bloss, dass wir eine Aussage bräuchten, oder am besten mehrere. Damit wir ihn drankriegen, ausserdem geniesst Dibala diplomatische Immunität, also wird es sowieso schwierig ihn auf Rechtswegen dranzukriegen", erklärt er und weicht einem Auto aus, dass nach rechts abbiegen will. „Der Standort des Transporters wurde ganz in der Nähe der Fabrik gefunden, als hätten sie darauf gewartet", stösst Vincent gepresst aus.

September - KEIN TAG OHNE DICHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt