Freundschaft

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"Noch einen bitte", sage ich und hebe mein leeres Glas. Der Barkeeper mit der kleinen Narbe über der rechten Augenbraue und dem schwarzen Eyeliner, nickt mir zu und kommt auf mich zu geschlendert. "Beschissenes Date gehabt?" Seine Stimme hört sich an, als sitzt er hier schon seit einigen Jahrzehnten fest. Nach jeder Menge Alkohol und hunderten Kippen. Auch sein Äusseres sieht verlebt aus, aber dennoch sieht er für manch anderer mit Sicherheit attraktiv aus. Ich dagegen schenke seinem Äusseren keine Beachtung, doch mir entgeht der anzügliche Blick nicht, den er mir zuwirft.

"Kann man so sagen", erwidere ich und deute auf mein Glas, das er sogleich wieder auffüllt. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit glitzert in dem schummrigen Licht der Bar. In der sich einige Leute befinden, die aber leise miteinander reden. Aber worüber sie sich unterhalten kann ich nicht verstehen und es interessiert mich auch nicht. Die Einrichtung ist ganz in Ordnung, die braunen Stühle mit den blutroten Bezügen passen zu der eher düsteren Atmosphäre die hier herrscht. "Lust darüber zu reden?", fragt er und sieht mich mit einem interessierten Blick an. Stirnrunzelnd hebe ich das  Glas an und lasse den Scotch darin kreisen, ehe ich das Glas an meine Lippen setze. Doch ich komme nicht dazu einen Schluck davon zu nehmen, denn auf einmal höre ich eine Stimme hinter mir. 

"Ja hat sie, aber nicht mit dir." Ich drehe mich nicht zu ihm um, denn ich weiss auch so, dass es Sam ist. Er setzt sich wortlos neben mich auf den Barhocker und mustert mich eingehend. Ich schaue ihn immer noch nicht an, aber seine Blicke brennen sich auf meine Haut. "Wieso bist du plötzlich abgehauen?" Ich versuche ihn mit aller Kraft zu ignorieren, doch allein schon neben ihm zu sitzen und seine Blicke auf mir zu spüren, lässt mich weich werden. Doch bevor ich meine Würde gänzlich verliere, klammere ich mich an mein Glas fest und nehme einen grossen Schluck und danach gleich noch einen. Schweigend schwenke ich mein Glas um den Barkeeper auf mich aufmerksam zu machen.

Sam mustert mich eingehend. 

Und schon wieder macht er mir einen Strich durch die Rechnung. Denn er nimmt mir das Glas ab und schiebt es so weit weg, das ich aufstehen müsste, um es mir zurück zu holen. Doch ich habe schon drei Gläser intus und davor schon einige Gläser Champagner, also merke ich den Alkohol umso deutlicher. "Was willst du von mir?", frage ich ihn direkt. In seinen blauen Augen kann ich all das erkennen, was wir erlebt und verloren haben. Den Terroranschlag, die Geiselnahme, die Verletzungen, die Befreiung und sein plötzliches Auftauchen bei mir. Wie wir uns zuerst gestritten, geküsst und danach geliebt haben. Wie ich ihn gehen lassen habe und danach zu ihm geflogen bin, um ihn mir zurück zu holen. Was nicht funktioniert hätte, da bin ich mir sicher. Dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack zurück, als ich daran denke, wie ich ihn verlassen habe, nachdem wir uns geliebt hatten.

"Dich."

Dieses kleine Wort hat eine riesen Bedeutung, zumindest für diese seltsame Situation. Und es bringt mich so aus der Fassung, dass ich fast vom Stuhl gefallen wäre, wenn Sam mich nicht festgehalten hätte. Ich klammere mich wie ein Äffchen an ihn und geniesse es seine starken Arme um mich zu spüren. Die Wärme die sein Körper ausstrahlt fliesst direkt in meinen über und hinterlässt ein angenehmes Gefühl in meinem Bauch. Ich habe die Augen geschlossen, atme den intensiven Geruch seines Aftershaves ein, und als ich sie öffne, blicke ich direkt in seine blauen Tiefen. "Ich weiss zwischen uns ist vieles schief gelaufen, aber ich bin mir sicher, dass wir das schaffen werden." Ich atme tief ein und setze mich wieder gerade hin und löse mich aus seinen Armen.

Sofort tritt das Gefühl des Verlassen werden ein und ich brauche dringend etwas zu trinken, um das Gefühl der Leere zu füllen, die sich in mir ausbreitet. Ich weiss das dieses Verhalten ungesund ist, aber ich kann im Moment nicht anders. Das Vibrieren meines Handys reisst mich aus meinen Gedanken. Etwas schwerfällig krame ich es aus meiner nudefarbenen Clutch und sehe das Vincent mir eine Nachricht geschrieben hat. 

September - KEIN TAG OHNE DICHWhere stories live. Discover now