Das Richtige tun

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Der Wind weht stärker, die Menschen im Park laufen auf einmal schneller an uns vorbei und sogar das Zwitschern der Vögel ist lauter geworden. Seitdem er mir das mit Mackenzie erzählt hat, herrscht Stille zwischen uns, die nur durch die anderen Geräusche durchbrochen wird. Er sieht mich an und in seinen Augen kann ich erkennen, dass er sich bereits entschieden hat. Für Mackenzie, seine Freundin. Und so schwer es mir auch fällt und so sehr mir das Herz blutet, atme ich tief ein, senke den Blick für einige Sekunden und als ich ihn wieder hebe und Sam anschaue, höre ich mich sagen; „Dann geh. Steig in den nächsten Flieger und fliege zu ihr. Sie braucht dich jetzt."

Meine Stimme zittert, meine Lippen beben und in meinen Augen schimmern Tränen, wie die ersten Tautropfen eines kalten Septembermorgens. Sams Ausdruck ändert sich schlagartig und war er zuerst geschockt, so weicht der Schock einem dankbaren Ausdruck. Was es mir noch schwerer macht, mich nicht als dumm zu bezeichnen. Keine andere Person hätte ihm wohl dazu geraten, jeder hätte gehofft, dass er sich entscheidet zu bleiben. Nur ich, diejenige die immer das Richtige im Leben tun möchte, hat ihn von sich gestossen. Für sein persönliches Glück, obwohl dies eher aus Nächstenliebe geschieht. Hoffe ich zumindest. „Wieso tust du das? Wieso?", flüstert er und kommt auf mich zu. Streichelt mir über den Arm und als ich ihn anschaue, kann ich die Tränen, die in meinen Augen brennen, nicht länger aufhalten. Sie fliessen ungehindert über meine Wangen und der Schmerz, der sich in Sams Augen abzeichnet, lässt mein Herz zusammenziehen.

„Weil ich niemandem im Weg stehen möchte. Ich tue das Richtige auch wenn es wehtut", schniefe ich und wische mir verlegen die Tränen weg. Doch Sam hält meine Hand auf und wischt an meiner Stelle die Tränen weg. „Es tut mir so leid, Haylie." Ich schüttle den Kopf und löse mich von seinen Händen, die er um mein Gesicht gelegt hat. „Muss es nicht. Ist schon okay." Ich versuche stark zu sein, wenigstens einer von uns sollte das tun. Nun ist es Sam, der den Kopf schüttelt und mich leicht verärgert ansieht. „Ist es nicht. Es ist lobenswert von dir mich gehen zu lassen und gleichermassen dumm. Aber ich muss es tun, muss zu Mackenzie und...", weiter lasse ich ihn nicht sprechen. „Du wirst zu ihr fliegen, ihr beistehen und wenn es ihr besser geht, dann kannst du ihr das Herz brechen, aber jetzt noch nicht. Wir werden uns wieder finden, das verspreche ich dir", sage ich mit zittriger Stimme. Doch es ist mein vollster ernst, ich habe noch nie etwas so ernst gemeint wie das hier. Der Wind bläst mir rau ins Gesicht, als mich Sam in seine Arme zieht und mich eine Ewigkeit lang festhält.

Nachdem wir uns von einander gelöst haben, gehen wir schweigend nebeneinander her. Meine Gedanken fahren Karussell, wollen sich nicht bändigen lassen. Mit jedem Schritt fällt es mir schwerer ihn gehen zu lassen, auch wenn ist weiss das dies das Richtige ist. Ich frage mich die ganze Zeit, ob ich ihn aufhalten soll. Mich nicht wie eine komplette Verrückte aufzuführen, doch eine leise Stimme in mir, flüstert mir zu, dass ich das was ich liebe ziehen lassen muss, denn wenn es zurück kommt, gehört es ganz mir. Und als wir das Ende des Parks erreicht haben, ruft sich Sam ein Taxi. „Ich muss noch kurz ins Hotel, um meine Sachen zu holen. Willst du mit...", er verstummt und sieht kurz zu Boden, ehe er den Blick wieder hebt. Doch bei aller Nächstenliebe, das schaffe ich nicht. Ihn zum Flughafen zu bringen, als wären wir bloss gute Freunde, schaffe ich nicht. Nein, das schaffe ich nicht und Sam versteht das, denn er lächelt mich sanft an. Versucht seine Gefühle so gut es geht zu kontrollieren, aber ich sehe ihm an, wie schwer es ihm fällt.

„Ich werde jede Sekunde an dich denken, werde...", doch ich schüttle vehement den Kopf und schaue ihm fest in die Augen. „Nein. Sag das nicht, Mackenzie hat Vorrang. Ich möchte nicht das du das sagst, nicht, wenn es bedeutet, dass ich einen Fehler begangen habe und das verkrafte ich nicht." Sam nickt, doch ich erkenne in seinem Blick, dass er es trotzdem tun wird. „Ich habe die letzten Monate nur an dich gedacht, glaubst du, dass ich nach allem was passiert ist, jetzt nicht mehr an dich denke? Das ich dich völlig ausblende und nur für Mackenzie da sein werde?" Ich habe das Gefühl neben mir zu stehen, als wäre ich meilenweit weg. Wieso musste es auch nur soweit kommen? Weshalb hab ich ihm nicht einfach die Nase vor der Tür zugeknallt? Weil du ihn brauchst und weil du... Nein, zwinge ich meine Gedanken, nein, so darf ich nicht denken. „Ja. Das verlange ich von dir. Das und...das du dich nur dann von ihr trennst, wenn sie wieder auf den Beinen ist. Dieses Versprechen musst du mir geben, Sam. Bloss dieses eine Versprechen."

Meine Stimme fühlt sich kratzig an, gar nicht wie sonst. Doch das Gefühlschaos, das in mir herrscht, füllt jeden Gedanken aus und lässt mich an nichts anderes mehr denken. „Ich kann nicht." Sam senkt den Blick und als er mich ansieht, verschlägt es mir den Atem. Denn alles was ich in ihnen erkennen kann ist Liebe. Liebe, die er für mich empfindet. Das ist zu viel, ich schluchze auf und schlinge meine Arme um seinen Nacken und presse mich an ihn. Will seinen Körper so nahe an meinem spüren wie es nur geht. Ich beisse die Zähen aufeinander, um die weiteren Schluchzer zu unterdrücken, die über meine Lippen dringen wollen. Sam erwidert meine Umarmung und lässt keinen Zweifel übrig, was er für mich empfindet. All unsere Gefühle verschmelzen miteinander, werden zu einem Ganzen und werden uns jeden Tag daran erinnern, dass wir keinen Tag ohne den anderen verbringen wollen. Doch bevor das gehen kann, müssen noch einige Brücken abgebrochen und mindestens ein Herz gebrochen werden. Erst dann können wir zusammen sein.

Als Sams Lippen meine bedecken, sie mit seiner Zungenspitze leicht öffnen, um kurz darauf meinen Mund im Sturm zu erobern, spüre ich tief in mir, dass ich noch keinen Mann so sehr geliebt habe wie ihn. Sam. Ich lege all meine Hingabe und Leidenschaft in diesen Kuss, von dem ich weiss, dass er für eine ungewisse Zeit der letzte sein wird. Ich keuche auf, als seine Hände grob über meinen Körper wandern, ihn noch stärker an seinen pressen und ich seine Erektion spüren kann. Mitten auf der belebten Strasse, wo uns jeder sehen kann, doch das blende ich in diesem Moment, der nur uns beiden gehört, aus. Sam löst sich etwas von mir, sodass ich seinen heissen Atem an meinen geschwollenen Lippen spüren kann. „Ich liebe dich, Haylie...", wispert er erstickt. Ein Wimmern dringt über meine Lippen, mein ganzer Körper schmerzt, denn das was ich jetzt tun werde, ist das schlimmste was ich jemals getan habe. Es verlangt mir mehr Kraft ab, als ich besitze und doch bringe ich sie auf, weil ich weiss, dass es das Richtige ist.

„Lebewohl, Sam", flüstere ich und löse mich von ihm. Lasse ihn stehen und setze einen Fuss vor den anderen. Ich wische mir die Tränen von den Wangen und atme tief ein, bringe so viel Distanz zwischen uns wie es nur geht. „Ich liebe dich auch", sage ich und beginne zu rennen. Ich renne durch die Strassen, fliehe vor meinen Gefühlen und der Realität. Denn alles was ich hatte, habe ich zerstört. In meiner Hast remple ich Passanten an, höre sie etwas sagen, doch es dringt nicht bis in meinen Verstand vor. Alles fühlt sich wie in Watte gepackt an, völlig surreal. „Oh Gott", stosse ich zittrig aus renne weiter. Ich will einfach nur noch weg, nutze die Bewegung um die Gedanken zu verscheuchen, die sich in mein Hirn einnisten wollen. Doch das bringt alles nichts, also bleibe ich schwer atmend stehen. Streiche mir das Haar aus dem Gesicht und verfluche die Stimme die mir zuflüstert; Du hast das Richtige getan, Haylie. Habe ich das wirklich?

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Was haltet ihr von diesem Kapitel?

Ich habe den Titel und das Cover geändert. Wie findet ihr es?

eure Amanda

September - KEIN TAG OHNE DICHWhere stories live. Discover now