Ozeanblaue Augen

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Claire

„Hier Spätzchen."

Meine Oma stellte einen Teller mit einem Marmeladenbrot vor meine Nase. Ich lehnte mich ein Stück nach vorne und betrachtete kritisch die Marmelade. Ich schnupperte weiterhin skeptisch daran und nickte zufrieden.

„Riecht schon mal ziemlich gut", gab ich zu und warf der alten Frau einen anerkennenden Blick zu. Nervös rieb sie ihre Hände ineinander und ließ mich nicht aus den Augen. Ich nahm das Marmeladenbrot und bis herzhaft herein. Ich kaute ein paar Mal und betrachtete das Brot dabei mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Die ist dir gelungen", sagte ich, nachdem ich das Brot heruntergeschluckt hatte. Wie ein kleines Kind fing meine Oma an zu Grinsen und sich freudig auf der Stelle zu drehen. Dabei wackelte ihr grauer Dutt leicht hin und her, sodass ich nicht anders konnte als zu Grinsen.

„Du sollst deine alte Oma doch nicht auslachen!", ermahnte sie mich und fuchtelte dabei mit einem Finger vor meinem Gesicht herum.

„Hab ich nicht getan", schmunzelte ich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Rasch griff ich nach meiner Schultasche und schmiss sie mir über die Schulter.

„Glaub ich dir nicht!", rief sie mir hinter her, als ich aus der Küche stürmte um den Bus zu bekommen.

„Hab dich lieb", rief ich noch, bevor ich die schwere Holztür schloss und den Bus in unsere Straße einbiegen sah. Mit einem großen Satz sprang ich über das Gartentor und sprintete zu der Bushaltestelle, die der Bus bereits erreicht hatte. Ich sah durch die Windschutzscheibe des Busses den alten, freundlichen Busfahrer lächeln.

Jeden Morgen hielt er einen kleinen Moment länger, damit ich den Bus bekam. Schwer atmend stieg ich in den Bus und erwiderte das Lächeln des alten Mannes am Steuer. Mit einem Zischen schlossen sich die Türen hinter mir und der Bus setzte sich in Bewegung. Ohne mein Ticket vorzuzeigen ging ich in die letzte Reihe an das Fenster. Ich ließ meine Tasche auf den Sitz neben mir fallen und atmete entspannt aus.

Ich saß seit zwei Jahren immer auf dem selben Platz im Bus. Immer alleine. Mein Blick schweifte nach draußen, wo die Menschen sich durch die schon warmen Straßen quälten an einem Donnerstagmorgen. Die Sommerferien waren vorbei und auch ich war dem Ministerium dankbar, dass der erste Schultag an einem Donnerstag war, denn schon jetzt sehnte ich mich wieder nach meinem Bett.

Der Bus bremste und hielt an einer weiteren Haltestelle an der eine Herde kichernder Mädchen einstieg. Ich presste mich tiefer in meinen Sitz und mied die Blicke der Mädchen. Sie waren aus meinem Jahrgang, doch wir hatten nicht viel gemeinsam. Während sie zu der Kategorie der Beliebten hörte, war ich einer der Außenseiter.

Der größte Unterschied zwischen uns war, dass ich mich nicht in den Mittelpunkt drängte und keine Freunde hatte. Natürlich wurde ich dafür verurteilt, dass ich mich nicht auf Partys blicken ließ und mich betrank oder sonst was, doch ich hatte kein Interesse daran, dass tausende sich für mich interessierten. Es war mir lieb, dass ich Zeit für mich hatte und niemandem außer meiner Großmutter verpflichtet war. Manchmal wünschte ich mir jemanden zum Zuhören und Freunde mit denen ich lachen konnte, doch Freunde stellten oft zu viele Fragen. Und viele dieser Fragen schmerzten mich zu sehr.

Also blieb ich alleine, denn das war für mich einfacher und weniger schmerzvoll.

Adrian

Butterfly - Lerne FliegenWhere stories live. Discover now