Kokon

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Adrian

Nervös strich ich mit meiner Hand durch meine Haare und blickte Claire aus dem Flur an. Sie hatte sich keinen Zentimeter bewegt seit ich aufgestanden war um zu telefonieren. Und ich musste mir eingestehen, dass ich vollkommen bekloppt war. Seit Monaten hatte ich das Gespräch mit dieser einen Person gemieden und nun stand ich hier und rief freiwillig an.

Claire machte mich wirklich verrückt was mein Verhalten anging.

Das Freizeichen ertönte und ich spürte, wie meine Hände schwitzig wurden. Jeder weitere Piepton steigerte meine Nervosität und ich malte mir das Gespräch in meinen Gedanken schon aus.

„Elisabeth Hutton", ertönte eine kühle, mir vertraute Stimme. Ich musste mich einmal räuspern ehe ich reden konnte.

„Hallo Großmutter", sagte ich möglichst Selbstbewusst und konnte mir das verwirrte Gesicht am anderen Ende der Leitung gut vorstellen.

„Adrian?", ertönte es leise und ziemlich ungläubig.

„Ja", fügte ich hinzu, woraufhin ein langes Schweigen folgte. Ich wollte schon etwas sagen um diese unangenehme Stille zu durchbrechen, als ich die aufgeregte Stimme meiner Oma hörte.

„Wie geht es dir? Dein Vater sagte du kommst nur knapp über die Runden und lebst in einem kleinen dreckigen Haus mitten in der Stadt. Komm doch wieder zurück, ich vermisse dich schrecklich. Brauchst du Hilfe? Ich habe dir gesagt, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, wenn du etwas benötigst!"

„Ich brauche wirklich deine Hilfe", unterbrach ich sie, bevor sie in einen weiteren Redeschwall verfiel.

„Was brauchst du mein Junge?", fragte sie aufgeregt und ich warf einen kurzen Blick zu Claire, die weiterhin auf dem Sofa saß.

„Alessandro und Jamie", sagte ich kurz angebunden.

„Wofür?", fragte sie verwirrt nach. Ich schloss meine Augen, zog scharf Luft ein und vergrub meine freie Hand in meinen Haaren. Wie zum Teufel konnte ich meiner Großmutter das ganze erklären ohne, dass sie etwas Falsches dachte?

„Also, es ist eine ziemlich komplizierte und lange Geschichte", setzte ich an und hoffte innerlich, dass sie nicht weiter nachfragte. Doch ich würde nicht ungeschoren davonkommen.

„Ich habe Zeit", erwiderte sie freundlich und ich hörte, wie sie sich es in ihrem Sessel gemütlich machte. Ein leiser Seufzer entfuhr mir und ich bereitete mich auf ein langes Gespräch vor während ich Claire betrachtete, wie sie auf das Dach kletterte.

Claire

Mein Blick schweifte über die schwarzen Dächer der Stadt bis zum Mond. Der Anblick versetzte mir einen schmerzvollen Stich. Vollmond. Und schon glitten meine Gedanken in meine Vergangenheit. 

Das Ticken der Uhr war grauenvoll. Jede Sekunde fraß sich in mein Gedächtnis und ich wusste, dass ich diesen Tag nie vergessen würde. Jedes Detail würde sich verankern und mich an den Unfall erinnern. Egal wie es am Ende ausging. Neben mir saß meine Großmutter, die sich nervös die Hände rieb und mir immer wieder kurze Blicke zuwarf. Ab und zu entwich ihr ein Fluch, der an die Uhr gerichtete war, doch schnell verfiel sie wieder ins Schweigen. 

Die Wände des Wartezimmers der Intensivstation waren in warmen Tönen gehalten, doch mir kamen sie eiskalt vor. Die Stühle fühlten sich an wie Holz und das Licht der Neonlampen wirkte unfreundlich. Ich saß still und versuchte mir in meinen Gedanken nicht das schlimmste auszumalen, doch immer wieder flammten grauenvolle Bilder vor meinen Augen auf. Und alle zeigten mir den Tod. Den Tod meiner Eltern. Ich blickte starr auf den Boden vor mir und versuchte das ungute Gefühl in meinem Bauch zu verdrängen.

Butterfly - Lerne FliegenWhere stories live. Discover now