Wahrheit

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Adrian

„Es ist nicht akzeptabel! Das Ganze war eine sinnlose Racheaktion. Selbstjustiz!", schimpfte Elisabeth und schritt vor uns hin und her. „Ich weiß, dass es dir schwer gefallen ist Claire, aber deswegen musst du nicht auf einen Jungen einschlagen! Ich hoffe du bereust deine Tat?!", fügte sie hinzu, hielt inne um Claire, die neben mir saß zu fixieren und eine Bestätigung zu bekommen.

Ich wandte meinen Blick zu Claire, die langsam ihren Kopf hob und unsere Großmütter anblickte.

„Ich bereue rein gar nichts davon", sagte sie langsam und verschränkte trotzig ihre Arme vor der Brust. „Claire, du hättest diesen Jungen wirklich nicht zusammenschlagen müssen. Du bist jetzt keinen Deut besser als er", hörte ich ihre Großmutter sanft sagen.

Sie verschränkte ihre Hände auf ihrem Schoss und blickte Claire mitleidig an.

„Ich bin sehr wohl besser als er, denn ich habe keine alte Frau zusammen geschlagen und mir reichen diese Sprüche! Ja, es war scheiße! Bereue ich es: Nein! Wieso? Weil ich mich mal nicht an die ganzen Gesellschaftsregeln gehalten habe! Und wisst ihr was: Es tut verdammt gut mal nicht das zu machen, was alle von einem erwarten", zischte sie.

Erschöpft ließ sich Elisabeth neben ihrer Großmutter nieder.

„Wir sind stolz auf euch beide", sagte Céline nach einiger Zeit der Stille. Verwirrt blickten wir die beiden alten Damen an.

„Wir sollten es nicht sein, doch wir sind es." Mein Blick suchte den von Claire, die genauso irritiert war, wie ich.

„Und jetzt sprecht ihr beiden euch endlich aus. Es nervt gewaltig, dass ihr euch die ganze Zeit in die Haare bekommt", wies Céline uns an. „Gehen wir Kaffee trinken? Der Wintergarten ist um diese Zeit in ein wunderschönes Licht getaucht", fügte sie an meine Großmutter gewandt hinzu, was diese mit einem erfreuten Nicken erwiderte.

Verdattert blickte ich den beiden alten Damen nach, wie sie das Wohnzimmer verließen und die Tür hinter sich schlossen. Eine bedrückende Stille breitete sich zwischen uns aus. Ich starrte auf den alten Holztisch, suchte nach passenden Worten. Immer noch waren die Erinnerungen an den Friedhof und die Nacht mit ihr allgegenwärtig, zwangen mich langsam in die Knie.

„Danke", flüsterte Claire in die Stille des großen Raumes. Ich wendete mich ihr zu, betrachtete ihr Profil. „Wofür?", fragte ich das Mädchen, das meinem Blick gekonnt auswich.

„Dafür, dass du mich nicht zurück gehalten hast und mich beschützen wolltest. Und für den ganzen Rest ebenfalls vielen Dank." Die letzten Worte murmelte sie nur noch, sodass ich sie kaum verstand.

„Du brauchst dich nicht dauernd zu bedanken", gab ich ein wenig eingeschüchtert zurück. Sie hatte, also tatsächlich gemerkt, dass ich sie beschützen wollte. Verdammte Instinkte!

„Na dann wäre ja alles geklärt", hörte ich sie sagen, doch mir entging dieser gequälte Unterton nicht. Ich sah, wie sie aufstand und mir kurz zunickte, während sie sich auf die Lippe biss. Sie durfte nicht gehen!

Ich wollte sie endlich haben!

„Ich habe das auf dem Friedhof gehört", spielte ich meinen Trumpf aus.

Claire

Ich erstarrte. Konnte keinen Schritt mehr tun. Mein Herz hämmerte in meiner Brust und mein Magen zog sich schmerzlich zusammen. Er durfte es nicht gehört haben! Wenn er es wirklich gehört hatte, war unsere Freundschaft bestimmt gegessen. Er war nicht doof.

Mit anderen Worten: Er wusste, dass mir die Nacht mit ihm keineswegs egal war.

„Du hast was gehört?", fragte ich gespielt verwirrt und drehte mich zu ihm um. Die grau-blauen Augen durchbohrten mich, wussten, dass ich log. Ich schluckte schwer und ignorierte die Röte, die sich unter seinem Blick in meinem Gesicht ansammelte. Er seufzte auf, erhob sich und stellte sich vor mich.

„Ich habe gehört, dass du gesagt hast, dass du dich in mich verliebt hast."

„Da musst du was falsch verstanden haben", winkte ich schnell ab, sah in seinem Blick jedoch, dass er mir nicht glaubte.

„Verdammt Claire, können wir endlich die Karten offen auf den Tisch legen?", fragte er und fuhr sich nervös mit seiner Hand durchs Haar. Betreten schaute ich zu Boden. Diese Worte waren mir Antwort genug. Er hatte es gehört und war sich sicher, dass ich in ihn verliebt war.

Was leider wirklich der Fall war.

„Okay. Was willst du hören?", fragte ich leicht trotzig und blickte ihn mit zusammengekniffenen Lippen an.

„Die Wahrheit?", brachte er schulterzuckend über die Lippen.

„Die Wahrheit?", wiederholte ich rhetorisch.

„Ja!", bestätigte er, war dabei seine Arme in die Luft.

„Die Wahrheit ist, dass mir diese eine Nacht mehr bedeutet hat genauso wie dieser scheiß Kuss!", brüllte ich ihn an, merkte, dass ich den Tränen nah war. Wütend starrte ich ihn an, merkte, wie ein erleichterter Ausdruck sich auf seinem Gesicht breit machte. Ein Seufzer entfuhr ihm und dann fing er an mich schief anzugrinsen.

„Was?!", keifte ich wütend, konnte seine Belustigung über meine Gefühle nicht ertragen. Ohne Vorwarnung kam er auf mich zu, trat dicht an mich heran und nahm mein Gesicht in seine Hände. Ich wollte und konnte mich nicht mehr wehren. Der Tag hatte Kraft gekostet und die Aussichten, dass er mich küsste, waren nicht schlecht. Leider wusste ich, dass ich danach innerlich zerreißen würde, was ich aber gekonnt beiseite schob.

„Die Wahrheit ist, dass du mir seit Monaten nicht aus den Kopf gehst und dass ich nur abgehauen bin, weil ich Angst vor diesen Gefühlen hatte, die ich für dich habe. Die Wahrheit ist, dass ich dich danach geküsst habe, weil ich dir nicht widerstehen konnte. Die Wahrheit ist, dass ich mich in dich verliebt habe", flüsterte er, sodass nur ich es verstand.

Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an, sah das selige lächeln auf seinen Lippen, ehe sie sich auf meine legten. Sein Atem strich über meine Haut und sein Geruch vernebelte mir die Sinne. Zärtlich presste er seine Lippen auf meine, ließ die Schmetterlinge in meinem Magen zu Hubschraubern werden und meine Knie weich werden. Ganz langsam löste er sich von mir, nur um seine Stirn gegen meine zu legen und mich in seine Arme zu ziehen. Ich konnte nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern.

Daran waren auch die Hubschrauber im Magen beteiligt. Sanft strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht.

„Ich liebe dich", murmelte er, drückte mir einen Kuss ins Haar.

„Ich dich auch", brachte ich ohne zu stottern über die Lippen.



Butterfly - Lerne FliegenWhere stories live. Discover now