Abschied

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Claire

Ich schritt ein letztes Mal durch das Haus meiner Großmutter und fuhr mit meiner Hand über die Wände, an denen vor kurzem noch Bilder hingen. Nun war das Haus leer und kalt. Das genau Gegenteil von vorher. Alles wirkte viel größer und nur noch ein schwacher Geruch von Blumen war vorhanden. Der süße Duft von selbst gemachter Marmelade war verschwunden, genau wie das Gefühl des Zuhauses. In den Mauern des Hauses waren Erinnerungen verankert, die mich in die Verzweiflung trieben. Vielleicht war es gut, dass ich hier weg ging.

Weniger Erinnerungen hießen gleich weniger Schmerzen.

„Claire?"

„Ich bin im Wohnzimmer", erwiderte ich und ließ meinen Blick über den noch gepflegten Garten schweifen, doch ich wusste, dass sich das Unkraut bald ausbreiten würde. Wie Gift würde es die letzten Blumen zurückdrängen.

„Bist du fertig?", ertönte die sanfte Stimme von Adrian. Ich beantwortete seine Frage mit einem angedeuteten Nicken und betrachtete den alten Schlüssel, der sich in meiner Hand befand.

„Alles okay?"

„Ja, es ist nur...", ich hielt inne und überlegte, wie ich meine Gefühle am besten formulierte. „Es ist einfach ziemlich schwer. Hier sind so viele Erinnerungen und einerseits bin ich erleichtert, aber andererseits will ich sie nicht verlieren." Ich bemerkte, dass er sich neben mich gestellt hatte und meine Hand nahm, in der der Schlüssel war.

„Das schaffst du schon", flüsterte er leise und blickte mir in die Augen. Ich schloss meine Augen und spürte die sanften Arme von Adrian, die sich um mich legten. Sofort umnebelte mich der vertraute Geruch von Rauch und Orangen.

Seit ein paar Tagen kümmerte der mir fremde Junge sich nun so liebevoll um mich und unterstütze mich. Irgendwie hatte ich es mit ihm geschafft alles zu organisieren und den Anblick meiner Großmutter zu überstehen. Er war im Krankenhaus nicht von meiner Seite gewichen und hatte mich in den Arm genommen, als die Trauer mich überrannte.

Doch die Trauer war nichts im Vergleich zu der Wut die in mir schlummerte. Die Wut, die sich langsam in Hass verwandelte. Noch immer hatte die Polizei keine Anhaltspunkte von den Jugendlichen, die meine Großmutter ins Koma geprügelt hatten. Und auch ihre Freundin die dabei war, konnte nichts Genaues sagen. Doch ich war mir sicher, dass es die Bande von Jugendlichen war. Die Bande, wegen der meine Großmutter Selbstverteidigung lernen wollte.

Auch wenn ich es nicht wahr haben wollte, bemerkte ich, dass sich in meinem Kopf immer weiter Rachepläne entwickelten. Langsam löste sich Adrian von mir und blickte mich lächelnd an. Ich nahm einen letzten Atemzug und folgte Adrian hinaus aus dem Haus.

Dem Haus in dem ich einen Schicksalsschlag nach dem Anderen erlebt hatte.

Adrian

Ich stellte den letzten Umzugskarton neben das Bett von Claire und betrachtete das zierliche Mädchen, dass im Schneidersitz zwischen einem Haufen Kartons saß.

„Soll ich dir helfen?" Sie hob ihren Kopf, sodass eine blonde Strähne ihr ins Gesicht fiel.

„Gerne, aber ich muss jetzt zur Arbeit. Mein Chef bringt mich um, wenn ich zu spät komme. Und meinen Job muss ich behalten", seufzte sie und erhob sich langsam.

„Dann machen wir das einfach heute Abend. Ich wollte gleich sowieso noch in die Halle. Ist's okay für dich, wenn wir heute Abend Pizza bestellen und die Jungs hier rumlungern?" fragte ich mit einem kleinen Grinsen auf dem Gesicht.

Butterfly - Lerne FliegenWhere stories live. Discover now