Kapitel 11

10.4K 453 139
                                    

Liedempfehlung: The Police - Every Breath you take

Schneeflocken. Unbeschwert und leise rieselten sie herab. Sie tanzten und drehten sich im Takt des Windes, überzogen die Landschaft mit einem Teppich aus Weiß. Sie wirbelten wunderschön glänzend, sogar lichtbrechend in der Sonne, durch die Luft und bedeckten die Erde. Diese kleinen Eiskristalle entstanden im Himmel, nur um auf der Erde wieder zu schmelzen und in ihre Ursprungsform zurückzukehren. Ihre Schönheit war nicht von Dauer. Sie war vergänglich.

Genauso wie das Leben eines Menschen. Wie das meiner Mum zum Beispiel. Schade nur, dass man die Vergänglichkeit des Lebens erst begriff, wenn man unmittelbar mit dem Tod konfrontiert wurde. Ob es Dinge gab, die meine Mum hätte anders machen wollen? Ob sie anders gelebt hätte, wenn sie vorher schon von ihrem Autounfall gewusst hätte? Gab es Dinge, die sie vor ihrem Tod unbedingt noch hätte erleben wollen?

Beispielsweise meine kleine Schwester Mia aufwachsen zu sehen, mitzubekommen, wie sie zum ersten Mal verliebt war? Oder vielleicht meinem Bruder dabei zuzusehen, wie er eine Frau fand, vor den Traualtar trat und Dads Firma übernahm? Und was war mit mir? Hätte sie nicht mitbekommen wollen, wie ich meinen High School Abschluss machte und aufs College ging? Hätte sie mir mit Rat und Tat zur Seite stehen wollen und mir über meinen Liebeskummer hinweg geholfen?

Seltsam. Heute wäre ihr Geburtstag gewesen. Der sechste Dezember, der Tag, an dem sie geboren worden war, heute vor fünfundvierzig Jahren. Es war das erste Mal seit ich denken konnte, dass wir Mums Geburtstag nicht feierten. Das erste Mal, dass nach der Schule keine Geburtstagsfeier zuhause stattfand und wir abends nicht mehr zusammen in der Innenstadt unter freiem Himmel Schlittschuh laufen gingen. Es fühlte sich merkwürdig an, nichts war mehr so, wie es hätte sein sollen. Alles war anders. Mum war gegangen. Für immer.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und starr hielt ich meinen Blick weiterhin auf die Schneeflocken hinter der Fensterscheibe unseres Klassensaals gerichtet. Ich stützte meinen Kopf auf die Hände und beobachtete wie sie durch die Lüfte schwebten, nur um gleich darauf wieder zu versiegen.

Das Wetter draußen war um einiges interessanter als die Schule. Trotz dass wir gerade über Literatur sprachen, konnte ich mich nicht für den Unterricht begeistern. Was wohl mehr oder weniger an meinem Englischlehrer lag, als an Jane Austens Art und Weise mit Worten umzugehen. Ich liebte ihre Werke. Das tat ich wirklich.

Doch nach unserer letzten Auseinandersetzung vor zwei Tagen hatten Logan und ich kein Wort mehr miteinander gesprochen. Ehrlich gesagt verspürte ich momentan auch keinerlei Interesse, mit ihm zu reden. Ich war müde davon, mich ständig von ihm hin und her schubsen zu lassen. Er behandelte mich wie ein Spielzeug.

War ihm nach Nähe, suchte er meine. War ihm nach Distanz, schubste er mich von sich. So ging das nicht mehr weiter. Ich wollte und konnte das keinen Tag länger mitmachen. Ich ertrug es einfach nicht mehr. Es brachte mich um. Ich hatte starke Gefühle für Logan und es gab nichts auf der Welt, nach dem ich mich mehr sehnte, als nach seiner Wärme, sein Lächeln und sein Herz. Aber er konnte es nicht. Aus einem mir unerfindlichen Grund brachte er es sich nicht über sich, einem Menschen zu vertrauen, sich ihm zu öffnen und an sich heran zu lassen. So lange ihm das nicht gelang, war eine Beziehung, vielmehr eine Liebe zwischen uns nicht möglich.

Ich war es leid und so sehr es auch schmerzte, so sehr meine Seele und mein Herz einzig und allein beim Gedanken daran zerbrachen, ich würde Abstand zu ihm halten. Denn er konnte es offensichtlich nicht. Es lag an mir. Es war meine freie Entscheidung, ob ich glücklich sein wollte, oder eben nicht. Und dieses ständige Auf und Ab der Gefühle machte mich nicht glücklich.

Wenn ich nicht auch an meinen Gefühlen zu Grunde gehen wollte, dann musste ich einen Schlussstrich ziehen. So schwierig es sein mochte.

Ich war so sehr in meinen Gedanken verankert, dass ich nicht bemerkt, wie die Schulglocken läuteten und das Ende von Logans Unterrichtsstunde ankündigten. Erst als Poppy mich leicht am Arm berührte, wurde ich zurück ins Hier und Jetzt katapultiert.

Please don't leave meजहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें