Kapitel 32

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Was ich sah, schnürte mir die Kehle zu und lähmte mich für mehrere Sekunden. Dads Worte spiegelten genau das wider, was ich in diesem Moment dachte.

Was zu Hölle?

Zunächst hatte es ganz den Anschein, als würden Logan und Lukas lautstark miteinander streiten. Doch bei genauerem Betrachten erkannte ich, dass Lukas auf Logan einredete, als versuchte er ihn von etwas zu überzeugen, ihn fast schon zu besänftigen. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können und dann erkannte ich es. Ich erkannte die Wut, die Logans Gesicht verzerrte, erkannte den Hass, der sich in seinen Augen spiegelte, wie ein loderndes Feuer, das alles und jeden um sich herum zu verschlingen drohte. Sein Körper, jede Faser davon, war angespannt, als wäre er bereit, sich jeden Moment in den Kampf stürzen zu können.

Ich hatte diesen Zorn, diese Wut schon einmal an ihm gesehen und noch ehe ich meinen Gedanken zu Ende denken konnte, wanderten meine Augen weiter. Nur wenige Meter entfernt entdeckte ich Tante Carolyn, die Mia auf dem Arm hielt und neben ihr stand ... Adam.

Im Bruchteil einer Sekunde rasselten Bilder auf mein inneres Auge herab. Bilder davon, wie Adam und ich am Tag des Umzugs alleine im Haus waren. Bilder davon, wie er versucht hatte mich zu etwas zu zwingen, dass ich nicht wollte. Ich erinnerte mich zu gut an seine ekelhaften Berührungen, seine großen Hände, die mich auf widerliche Art und Weise gepackt hatten und Dinge mit mir anstellen wollten, die ich abgrundtief verabscheute.

Seit diesem verhängnisvollen Tag vor zwei Monaten hatte ich ihm nicht mehr unter die Augen treten müssen - Gott sei Dank. Aber ihn ausgerechnet hier im Krankenhaus zum ersten Mal wieder sehen zu müssen, damit hatte ich keinesfalls gerechnet. Und Logan ganz offensichtlich auch nicht.

»Ich sehe mal nach, was da draußen los ist«, hörte ich meinen Dad sagen, während er sich erhob und Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen.

Ich dagegen konnte nur unbeweglich dasitzen. Ich war wie versteinert und hatte alle Mühe, meinen unkontrollierten Atem und mein pochendes Herz zu beruhigen. Es fühlte sich an, als könnte es jeden Moment brechen.

Ich hatte gedacht, dass ich damit umgehen könnte, ihn wieder zu sehen. Irgendwann. Ich hatte es wirklich gedacht, hatte es gehofft. Aber in dem Moment, als ich Adam nun sah, kam alles in mir hoch und ich begriff - ich konnte es nicht.

Erst als die Tür hinter Dad mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, zuckte ich erschrocken zusammen und erwachte aus meiner Trance.

Ich musste ihm folgen. Ich musste die Situation noch irgendwie retten. Ich musste Logan retten, bevor er etwas tat, was er im Nachhinein bereuen würde. Sofort schwang ich die Beine über das Bett und wollte aufstehen, als ich von einem schmerzhaften Ziehen am Arm unterbrochen wurde.

Mir wurde bewusst, dass ich ja noch immer die Infusion in meinem Arm hatte. Eilig ergriff ich die ganzen Kabel und riss sie einfach heraus. Ich spürte einen kurzen Stich und Blut sickerte aus der Wunde, aber das war mir egal. Auch entfernte ich dieses verdammte Teil an meiner Nase und sprang auf die Füße. Kurz begann es vor meinen Augen gefährlich zu flimmern und kleine schwarze Punkte tanzten am Rande meines Gesichtsfelds. Schnell nahm ich einen tiefen Atemzug und stütze mich kurz an der Wand ab, bis mein Kreislauf sich etwas normalisiert hatte. Dann ging ich weiter zur Tür und öffnete sie einen kleinen Spalt breit, um herausspitzeln zu können.

»Er hat hier überhaupt nichts verloren!«, hörte ich Logans wutentbrannte Stimme. »Er soll sich verpissen!«

»Logan, bitte beruhige dich doch!«, sagte Lukas.

»Ich beruhige mich erst, wenn er verschwunden ist. Wie kannst du nach allem was passiert ist noch zulassen, dass er hierher kommt?«

Mein Blick wanderte zu Logan, der bei Lukas stand und wirkte, als könnte er jeden Moment auf meinen Cousin losgehen. Wieder. Das Einzige, was ihn noch davon abzuhalten schien, war Lukas' fester Griff um seine Oberarme. Logan war völlig durch den Wind.

Please don't leave meWhere stories live. Discover now