Kapitel 50-Deja vu Teil 2

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Leben ist schwer

Zu sterben ist einfacher

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Manche Gründe sind für uns unergründlich und wir werden sie wahrscheinlich nie verstehen

Trotzdem gibt es immer eine Erklärung dafür, auch wenn sie nur ein einziger Mensch kennt.

Die ersten beiden Stunden habe ich unbeschadet überstanden. War aber auch nur Mathe und Kunst. Und zum Glück hatte ich beide Stunden mit Tommy und Julius!

Aber jetzt ist Pause. Normalerweise das Beste an dem Schultag. Jedoch nicht heute. Nicht für mich.

"René? Kommst du? Oder willst du die ganze Pause über hier im Klassenraum verbringen?"

"Ja, wartet. Hab nur an was gedacht."

Am liebsten würde ich wirklich die ganze Zeit hier verbringen und mich vor der Außenwelt verstecken. Aber das geht wohl nicht. Also muss ich mich zusammenreißen und Tommy und Julius nach draußen folgen.

"Mit dir stimmt heute echt was nicht."

Das weiß ich selber, Julius. Wenn du aber wüsstest warum ich heute so bin, würdest du mich verstehen. Ich werde aber niemanden etwas davon erzählen. Es geht ja auch niemanden etwas an! Nur mich und meine Familie.

Die ganze Zeit habe ich meinen Kopf gesenkt und traue mich einfach nicht, den Kopf zu heben. Aus Angst komisch angesehen zu werden oder jemanden zu sehen, den ich nicht sehen will.

"Na seht mal an, wen wir da haben."

Nein. Bitte nicht. Tu mir das nicht an! Ich liebe dich doch!

"Den kleinen René! Was hast du denn? Traust dich nicht, vom Boden aufzusehen? Du bist doch gar nicht so hässlich, dass du dich Schämen musst!"

Was labert der da? Spinnt er? Warum macht er mich so scheiße von der Seite an? Reicht es nicht, dass er mich schon gestern so behandelt hat?

"Was laberst du, Noel? Bist du irgendwie bescheuert? Was machst du deinen Bruder so an? Was hat er dir getan?"

"Halt mal deine Klappe, Julius. Ich spreche mit René und nicht mit dir!"

Vorsichtig traue ich mich meinen Kopf zu heben. Mein bester Freund guckt Noel verständnislos an und kann ihn anscheinend nicht verstehen. Aber ich sehe noch was. Alle Mitschüler sind stehen geblieben und gucken meinen Zwillingsbruder genauso an, wie Julius und Tommy. Ich kann sie verstehen. Für sie muss Noel verrückt geworden sein! Meiner Meinung nach ist er das auch!

Aber wenn ich jetzt nichts sage, wird er weiter machen und bestimmt noch schlimmere Sachen sagen.

"Noel. Kannst du und deine Freunde nicht irgendwo anders hin gehen?" Vielleicht hilft es ja.

Aber falsch gehofft! Noel lacht daraufhin nur laut los. "Warum sollte ich? Du hast mir gar nichts zu sagen."

War ja klar.

"Du kriegst ja nicht mal dein eigenes Leben auf die Reihe. Was hast du denn schon erreicht? Dave war immer bei dir und hat dich verteidigt und alles. Und dann ich auch noch. Glaubst du nicht, dass es jetzt irgendwann mal reicht?! Aber nein! Jetzt hast du auch schon wieder Moritz um den kleinen Finger gewickelt! Glaubst du nicht auch, dass er dich auch bald satt hat?"

"Pass auf, was du sagst, Bruder. Wie kannst du nur so ein Scheiß behaupten?!"

"Meinst du wirklich, dass das alles gelogen ist? Schau dich doch um! Jeder hier läuft dir blind hinterher und du benutzt sie nur! Dein Leben ist alles andere als perfekt, mein Bruder!"

Jetzt reicht es mir. Die Angst, die ich vorher die ganze Zeit gespürt habe, ist verflogen. Dafür taucht wieder dieses Gefühl in mir auf. Diese Wut!

Niemand hätte damit gerechnet, dass ich das tue. Aber ich tue es! Ich schlage Noel meine Faust mitten in sein Gesicht. Und ich kann gar nicht mehr aufhören damit. Es tut einfach zu gut! Außerdem hat er es vollkommen verdient.

Die Stimmen der anderen verdränge ich ganz und widme mich ganz dem Gesicht, dass ich eigentlich so sehr liebe und vertraue. Jedoch nicht in diesem Moment.

Erst als Noel sich anfängt zu wehren, nehme ich Stücke von meiner Umgebung wahr. Mein Bruder hält seine Arme schützend vor sein Gesicht. Aber anscheinend fängt er sich dann wieder, denn er trifft mich im Magen.

Ich bin aber noch immer so auf Adrenalin, dass ich es kaum merke.

"Was zum Teufel tut ihr hier?! Hört sofort auf damit!!" Ruckartig werden wir auseinander gerissen, nachdem Noel mir noch ein paar Schläge verpasst hat.

Noch immer nehme ich nur Bruchstücke wahr. Jedoch weiß ich, wer uns unterbricht. Frau Alan. Unsere Direktorin. Schon wieder.

"Ihr schon wieder? Habe ich euch nicht schon einmal auseinander gerissen? Das wird diesmal Konsequenzen haben. Das schwöre ich euch! Und jetzt bewegt ihr euch zu mir ins Büro. SOFORT!"

Sie wird immer lauter und wütender. Doch das ist mir vollkommen egal. Mir ist alles egal. Selbst wenn ich jetzt von der Schule fliege. Die Wut hat Platz gemacht und zwar für eine Leere. Eine unnatürliche Leere.

Als ich endlich im Büro der Direktorin sitze, weiß ich noch immer nicht, was ich denken soll.

"Also Jungs. Wollt ihr es mir erklären? Oder soll ich euch schon jetzt eure Bestrafungen sagen?"

Weder Noel noch ich antworten ihr. Es ist uns beiden wahrscheinlich völlig egal. Also mir sowieso.

"Gut. Dann rufe ich mal bei euren Eltern an!"

"Können Sie sich sparen. Wir wohnen bei unserem Cousin. Dave. Den, den Sie schon letztes Mal angerufen haben", antworte ich ihr kühl.

"Ihr wohl beide zusammen? Umso weniger verstehe ich, was da gerade im Schulflur passiert ist! Aber nun gut. Ihr werdet es mir ja wahrscheinlich eh nicht erklären."

Da hat sie recht. Frau Alan sucht in kürzester Zeit die Nummer raus und gibt sie schließlich ins Telefon ein.

 Dave: Hallo?

Bärbel Alan: Guten Tag, Herr Parker. Bärbel Alan hier! Ich rufe Sie wegen René und Noel an.

Dave: Guten Tag. Ich verstehe nicht ganz? Ist ihnen etwas passiert?!

Bärbel Alan: Nicht direkt. Die beiden haben sich zum wiederholten Mal in der Schule geprügelt.

Dave: Das darf doch nicht wahr sein! Ich komme natürlich sofort! Bin gleich da. Danke für Ihren Anruf!

Bärbel Alan: Bis gleich.

 Also wird Dave gleich da sein. Ist mir egal. Völlig egal. 

Sweety (boyxboy)Où les histoires vivent. Découvrez maintenant