Verlorene Jungs

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Avis saß gegen einen Baum gelehnt und beobachtete Peter dabei, wie er ein Feuer machte. Er hatte so viele Geheimnisse, das wusste sie, jedoch war sie zuversichtlich, dass sie sie früher oder später erfahren würde. Trotzdem ließ sie der Gedanke an die Echohöhlen nicht los. Seine Worte, die Art wie er sie gesagt hatte ließen Avis einen Schauer über den Rücken laufen und sie zuckte zusammen. Dan stand sie auf, hielt ihre Hände über die Flammen und sprach die Frage aus, die ihr auf der Zunge brannte: „Warum bist du hier?"

Sie hörte wie Peter kurz schnaubte bevor er antwortete: „Diese Insel war mein Traum. Als Kind habe ich immer von diesem Ort hier geträumt und als ich dann..." Er brach ab. „Als ich hierher kam hat der Schatten mir angeboten zu bleiben", beendete er hastig.

„Aber wenn es immer nur ein Traum war wie bist du dann hierher gekommen?", hakte sie nach. Sie wusste, dass er ihr aus irgendeinem Grund die Wahrheit verschwieg.

Er druckste etwas umher, murmelte etwas Unverständliches in seine Hand und wollte schon aufstehen, als er es sich scheinbar anders überlegte und sich wieder setzte. „Ich habe dir nicht alles erzählt", begann er. Orangerotes Flackern umspielte ihre Gesichter und warf lange Schatten über die Lichtung. „Ich kam vor einigen Jahren mit meinem Sohn hierher..."

„Wo ist er jetzt?", erkundigte sich Avis.

„Nicht hier. Der Schatten hat ihn wieder zurück in den Zauberwald gebracht, als ich mich entschied zu bleiben. Verstehst du? Meinetwegen ist mein Sohn jetzt da draußen, alleine und auf sich gestellt. Ich habe ihn verlassen und im Stich gelassen." Peter schien sichtlich bedrückt. Er machte sich offenbar Vorwürfe wegen dieses Vorfalls.

Avis versuchte ihn zu trösten: „Könntest du ihn nicht besuchen?"

„Könnte ich. Aber er hasst mich." Peter senkte seinen Blick. „Er hat bereits selbst einen Sohn und ich fürchte er könnte derjenige sein, der uns unsterblich machen kann."

Fast von selbst kamen die Worte nun aus Avis Mund: „Wie alt bist du Peter?"

„Ich weiß es nicht", antwortete er heiser. Dann stemmte er sich vom Boden hoch und ging davon. Kurz vor dem Rand der Lichtung drehte er noch einmal zu Avis um: „Ich muss etwas erledigen. Schlaf, ruh dich aus."

Avis spürte die aufkommende Müdigkeit und selbst wenn sie gewollt hätte, wäre sie nicht in der Lage gewesen Peter zu folgen, also legte sie sich auf eine Decke und schaute in den Nachthimmel, bis ihr schließlich die Augen zu fielen und sie in einen tiefen Schlaf sank.

Das Zwitschern eines kleinen Vogels weckte sie. Zuerst fiel ihr Blick auf einen kleinen Holzkäfig, dann auf Peter, der im Schatten des großen Baumes lag und schlief. Langsam stand sie auf und betrachtete den Käfig. Ein kleiner blau schimmernder Vogel hüpfte piepsend darin umher. „Na kleines Vögelchen. Was hältst du von ein wenig Freiheit?", fragte sie flüsternd während sie sich schon an der Käfigtür zu schaffen machte. Schon war der Vogel frei, doch anstatt davon zu fliegen, setzte er sich auf seinen Käfig drauf und beobachtete Avis mit einem schiefgelegten Kopf. „Na schön, dann bleib eben da sitzen", sagte sie.

„Du hast also schon unseren Neuankömmling kennengelernt."

Avis fuhr herum, sie hatte nicht bemerkt, dass Peter aufgewacht war oder hatte er womöglich gar nicht geschlafen? „Hast du ihn eingesperrt?"

„Das war eher für den Transport. Ich musste schließlich sichergehen, dass mein Plan auch funktioniert", erklärte Peter.

„Was für ein Plan?"

„Einsame Seelen auf die Insel zu bringen. Du hast mich auf die Idee gebracht. Die Insel ist wirklich zu leblos und das kann auf Dauer langweilig werden, meinst du nicht?" Peter stand auf, Avis tat es ihm gleich. „Ich hatte die Idee Jungs, die sich einsam fühlen hierher zu bringen."

„Warum nur Jungs?", fragte Avis ein wenig verwirrt.

„Die Mädchen kommen nicht nach Neverland. Der Schatten bringt sie an einen anderen Ort, der besser zu ihnen passt. Ich kenne es selbst nicht aber eine Fee soll dort herrschen."

Sie verschränkte die Arme vor der Brust: „Und weshalb darf ich dann hier sein?"

„Wie ich bereits sagte: der Schatten akzeptiert dich." Peter wanderte auf den Rand der Lichtung zu und folgte einem kleinen Pfad.

„Okay und wie findest du diese Einsamen Jungs?", rief Avis und eilte ihm nach.

Peter schlug einen tief hängenden Ast zu Seite: „Sie kommen zu mir." Er holte eine Panflöte hervor und hielt sie in die Luft, dass Avis sie sehen konnte. „Wenn ich spiele nennt man mich Pied Piper."

Pied Piper?", Avis musste lachen und stolperte beinahe über eine krumme Wurzel.

Peter unterdrückte ein Lachen. Ruckartig fuhr er zu ihr herum und wurde ernst: „Vielleicht erkennt er mich wieder, ich meine mein Sohn, Rumpelstilzchen. Ich musste diese Initialen verwenden damit der Zauber wirkt. Niemand, außer den Jungs, die sich einsam und verlassen fühlen können meine Musik hören". Leise fügte er hinzu: „Und ich weiß, dass er sich einsam und verlassen fühlt, genau wie sein Sohn Baelfire. Es gibt nämlich etwas, dass ich dir erzählen muss. Gestern habe ich nicht nur den Vogel mitgebracht, sondern auch Rumple und Baelfire beobachtet. Er ist zum Dunklen geworden."

„Zu dem Dunklen?" Avis war etwas sprachlos. „Die Geschichten sind also wirklich wahr..."

Peter nickte nur und folgte dem Weg weiter durch das Dickicht. Lange sagte keiner von ihnen etwas, bis sie wieder oben auf der Klippe standen von der sie gestern gesprungen waren. Avis trat an Peter heran. Sie standen jetzt ganz dicht voreinander und blickten sich einander tief in die Augen. Dann ganz langsam beugte sich Peter zu ihr herab, Avis schloss ihre Augen, seine Stirn an ihre gepresst. So standen sie einige Minuten da. Keiner von beiden sagte etwas. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut und sie hob ihren Kopf ein kleines Stück, gerade weit genug, dass ihre Lippen seine berührten.

Dann löste sie sich von ihm. Es war ein kurzer, sanfter Kuss gewesen. „Hol die Verlorenen Jungs", flüsterte sie ihm ins Ohr und trat einen Schritt zurück.

Einige Stunden später hörte Avis plötzlich Stimmen. Viele lachende und johlende Stimmen drangen durch das dichte Unterholz zu ihr hinauf. Sie hatte auf dem großen Baum gesessen und den Vogel dabei beobachtet, wie er ein Nest gebaut hatte. Neugierig kletterte sie über die Äste herab und ließ sich auf den weichen Waldboden fallen. Vor ihr standen sieben Jungs.

Peter grinste sie an: „Habe ich zu viel versprochen? Willkommen in eurem neuen zu Hause!"

Einer der Jungs zeigte auf Avis: „Was macht sie hier?" Er war groß und schlaksig gebaut, sein blondes Haar war wild zerzaust. Avis mochte ihn.

Peter legte einen Arm auf die Schulter des Jungen. „Sie ist genauso Teil der Insel, wie ich es bin. Ihr Name ist Avis Stracany und sie ist das erste und einzige Verlorene Mädchen auf Neverland!".

Diese Erklärung schien dem Jungen zu reichen, denn er wandte sich nun an Avis: „Ich heiße Felix."

Auch die anderen stellten sich Avis nun vor. Rufio, Leith, Dorian, Oliver und Harlow waren die ersten der Verlorenen Jungs. Alle waren ungefähr so alt wie Peter und sie selbst.

Avis deutete hinüber zu dem Baum: „Ihr seid sicher sehr erschöpft. Dort in dem Baum könnt ihr euch ausruhen."

Zögerlich gingen die sechs Neuen auf den Baum zu und öffneten eine kleine Luke, die in eine Höhle unter der Lichtung führte. Einer nach dem anderen kletterte hinab.

Pan kam auf sie zu und grinste: „Ich habe Baelfire gesehen. Und es scheint, als hätten Rumple und er keine besonders gute Beziehung zueinander!".

Sie wusste, was dies bedeutete. Als Rache an Rumpelstilzchen wollte Pan nun dessen Sohn entführen.

Once Upon A Time - Losing AverilWhere stories live. Discover now