Lebendig

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Endlich vernahm Avis Geräusche, sie sie nicht selbst verursacht hatte. Schnelle Schritte. Aber sie konnte hören, dass die Person darauf bedacht war nicht entdeckt zu werden. Dann trat er plötzlich aus den Schatten.

„Liam!", entfuhr es ihr und sie sprang von dem unebenen Steinboden auf.

Liam sah sich um, als fürchtete er, jemand könnte sie belauschen, dann trat er ganz nah an die Gitterstäbe heran. „Averil, du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich keine andere Wahl hatte."

„Liam, wovon redest du?", sie starrte ihn mit großen Augen an.

„Ich habe gehört, was sie dir erzählt haben. Über mich und...", er brach ab. „Aber sie dürfen es nicht wissen. Ich weiß nicht einmal, wie sie es erfahren haben aber sie müssen es vergessen, hörst du?"

„Wer muss was vergessen?", fragte sie verwirrt nach.

Liam schaute über seine Schulter: „Kapitän Silver und seine Männer."

„Das Auge des..."

Er hielt ihr die Hand vor den Mund: „Sprich es nicht aus. Ich weiß wirklich nicht, woran es liegt. Deine Anwesenheit hat so einiges verändert. Du gehörst hier nicht hin."

„Ich weiß noch nicht einmal was ich getan habe."

„Du lebst."

Avis taumelte zurück gegen die Zellenwand.

„Nein, Liam. Ich wurde erstochen, ich kann unmöglich noch leben! Warum denken das bloß alle?"

„Glaub mir, kleine Schwester, wenn man lange genug hier ist, erkennt man eine lebendige Seele."

Avis konnte sich nicht bewegen, ihr Körper fühlte sich taub an. Ihr wurde schwindelig. Ihr Blick verschwamm vor ihren Augen, sie schnappte nach Luft und taste nach der Wand für Halt.

Sie fuhr mit einem Ruck hoch. Ihre Atmung war schnell, ihr Herz raste. Doch es war wieder nur einer der fürchterlichen Träume gewesen, die sie dauernd hatte, seit Hades sie hier eingesperrt hatte. Sie wusste nicht einmal wie lange sie bereits hier in dieser kahlen Zelle hockte. Waren es bereits Tage? Wochen? Oder sogar Monate?

Die Dunkelheit hatte ihr jegliches Zeitgefühl geraubt und jedes Mal, wenn sie versuchte zu schlafen wurde sie von diesen schrecklichen Albträumen gequält. Mal war es Peter, der zu ihr kam, mal Milah oder wie dieses Mal Liam, der ihr sagte, dass sie noch lebte.

Sie war noch völlig in den Gedanken an den Traum und bevor sie es richtig bemerken konnte, war sie in eine Rauchwolke gehüllt und fand sich in der nächsten Sekunde in einer weiten, hell erleuchteten Höhle. Sie war so geblendet, dass sie ihre Augen mit dem Arm abschirmen musste, da sie bereits anfingen zu tränen.

Die Stimme Hades dröhnte an ihr Ohr: „Ich dachte, es wäre an der Zeit, dir die neuesten Nachrichten mitzuteilen." Seine Stimme stockte und sie hörte ihn näher treten. „Sieh dich nur an, ganz verstaubt und aufgewühlt siehst du aus. Die Jahre in dieser Zelle haben dir wirklich mehr zu schaffen gemacht, als ich dachte. Obwohl, ich gebe zu es war schon amüsant dich dabei zu beobachten, wie die Albträume dich langsam in den Wahnsinn treiben. Es ist interessant zu sehen, welchen Einfluss ein Reich voller Tote auf eine lebende Seele hat..."

Avis blinzelte zu ihm auf, sie war zu erschöpft ihn zu unterbrechen. Ihre Lippen waren rau und ihr Mund war trocken.

„...vor allem eine, die unfähig ist zu sterben."

Diesmal brachte Avis sich dazu, Hades eine Frage zu stellen: „Meine Seele, ich, bin unfähig zu sterben?"

Hades winkte ab: „Das ist nicht so wichtig. Viel interessanter finde ich, dass dein Bruder sich uns bald schon anschließen wird."

„Liam kommt hierher?", stieß sie aus.

Hades Miene verzog sich zu einem Grinsen, als er langsam antwortete: „Nein, nicht Liam, sondern Killian. Drei Geschwister Jones, wieder glücklich vereint in meinem Reich, ist das nicht schön? Weißt du, es kommt nicht oft vor, dass drei Geschwister in solch großen Abständen hier eintreffen...das ist wirklich bemerkenswert!"

Avis stemmte sich vom Boden auf und musste aufpassen, nicht gleich wieder umzukippen, als sie das hörte. „Killian ist tot?"

„Erstochen. Interessant, findest du nicht? Das muss sich doch gut anfühlen zu wissen, dass derjenige, der dich erstach auf die gleiche Weise umgebracht wurde. Möchtest du wissen von wem?" Sein Grinsen wurde von Sekunde zu Sekunde gehässiger. „Nein, das behalte ich vorerst für mich, soll er es dir doch selbst sagen. Falls ihr euch wiederseht."

Sichtlich amüsiert machte Hades es sich in seinem großen Sessel bequem.

„Aber das ist es nicht." Sie hatte sich wieder genug erholt und sie hatte Hades Worten genau gelauscht. Sie war sich sicher, dass selbst er als Herr der Unterwelt nicht wusste, wer sie erstochen hatte.

Er starrte sie fragend an: „Was ist das nicht?"

„Interessant." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Er hat mich schließlich nicht erstochen, es war der Schatten von Neverland. Das ist auch der Grund warum ich nicht wirklich tot bin, habe ich recht? Der Schatten und ich waren beide Teil der Insel, doch er hat in der Nacht bloß einen Teil von mir töten können. Der andere Teil von mir ist immer noch lebendig." Sie wusste nicht genau, wann sie zu diesem Schluss gekommen war, es sprudelte einfach aus ihr heraus. „Aber ich bin nicht mehr die Avis Stracany aus Neverland, nein ich bin nicht einmal mehr Averil Jones. Ich bin jemand anderes. Sie haben keine Macht über mich, weil ich lebe, weil ich nicht die Person bin, die gestorben ist. Trotzdem bin auch ich wie alle anderen hier erst einmal gefangen, bis ich mein Unerledigtes Geschäft gefunden und gelöst habe, erst dann kann der noch lebendige Teil von mir zurück.", beendete sie ihren Vortrag.

Hades starrte sie nur mit halb offenem Mund an. „Unmöglich", flüsterte er schließlich.

Ein paar Minuten herrschte absolute Stille in der Höhle, nur ab und an drang ein Schrei einer verlorenen Seele aus dem Fluss an ihre Ohren.

„Auch ich habe noch etwas zu sagen, das du noch nicht weißt. Abgesehen von deinem Bruder, der in wenigen Minuten hier eintreffen sollte, folgt ihm eine Gruppe von Leuten, die dir durchaus bekannt sein sollten. Dann wirst du nicht die einzige lebendige Person in meinem Reich sein." Das Wort lebendig sprach er beinahe abwertend aus. „Nun entschuldige mich, ich werde anderweitig gebraucht."

Er beschwor zwar eine Rauchwolke hinauf, jedoch nicht um selber darin zu verschwinden, sondern um Avis fort zuschicken. Sie erwartete schon wieder die kalten Gitterstäbe vor sich zu sehen, doch zu ihrer Überraschung fand sie sich auf dem Friedhof wieder. Direkt mit Blick auf den Grabstein mit der Aufschrift „Killian Jones".

Once Upon A Time - Losing AverilWhere stories live. Discover now