Schatten, Liebe, Gift

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Er stand hinter dem Tresen, Arme links und rechts aufgestützt und lächelte sie an. „Na, Vögelchen—"

„Bevor du etwas sagst, ich weiß genau was du vorhast", sie baute sich mit verschränkten Armen vor ihm auf. „Du hast also einen Plan, wie du die Unterwelt verlassen kannst? Und der beinhaltet natürlich mal wieder nur dich selbst!", fauchte sie ihn mit finsterer Miene an.

Peter senkte seinen Blick. Viel zu lange sagte keiner ein Wort, bis er sich scheinbar dazu durchringen musste: „Die Wahrheit ist, dass ich dich nicht Liebe, Avis. Schon länger nicht mehr, ich hatte gehofft du wärst nicht hier, so dass ich es dir nie hätte beichten müssen..."

Etwas unheimlich Vertrautes lag in der Art wie er sprach. Die Weise wie er es gesagt hatte und ihre Gefühle, die ebenfalls keine Reaktion auf sein Geständnis zeigten, ließen plötzlich alle Alarmglocken in ihr läuten, doch entschied sie sich dazu ruhig zu bleiben: „Ich weiß. Du hast mich immer gehasst. Du wolltest mich von Anfang an von Neverland fernhalten. Ich war dir immer nur im Weg. Du bist nicht Peter Pan. Du bist der Schatten", bluffte sie die Gestalt an.

„Was macht dich da so sicher?", entgegnete er ihr unfreundlich.

„Die Art, wie du sprichst, dich bewegst. Die Kälte. Du warst es auch, der mich damals umgebracht hat", warf sie ihm entgegen. „Du bist ein Schatten, eine Illusion. Du kannst gehen wohin du willst in jeder Gestalt, die dir lieb ist. Das ist mir jetzt klar geworden, nach deinem Gespräch mit Rumpelstilzchen und der Veränderung wie du gerade mit mir sprichst."

Peters Körper wurde von einer schwarzen Wolke umhüllt.

„Ich gratuliere, Verlorenes Vögelchen, du hast es durchschaut. Allerdings muss ich deine Schlüsse korrigieren. Du warst niemals im Weg, du wurdest gezielt gelenkt, seit du damals deinem Bruder auf das Schiff gefolgt bist. Auch der Schatten von Neverland hat dich nie wirklich gehasst, er kann Emotionen nicht verstehen und schon gar nicht selber fühlen. Er hat bloß Anweisungen befolgt", hallte plötzlich eine Frauenstimme durch ihren Kopf. Die Stimme der fremden Dame, der sie bei ihrer Ankunft in der Unterwelt in den Tunneln begegnet war.

Sobald die Stimme verhallt war, verschwand auch die schwarze Wolke

Avis atmete schnell. Wo war Peter?

Sie vernahm plötzlich ein stöhnen und zuckte zusammen. Dann lief sie um den Tresen herum und sah ihn noch halb bewusstlos auf den alten Dielen liegen.

Es dauerte ein paar Minuten bis er wieder vollkommen bei sich war. „Was ist passiert? Mein Vater hat eben den Laden verlassen und ehe ich mich versehen konnte befand ich mich in tiefer Dunkelheit."

Sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. Was sie jedoch bedrückte war, dass er während des Gesprächs mit Rumpelstilzchen ganz er selbst gewesen war. „Alles ist gut, Peter, aber erklärt mir lieber, was es mit deinem Plan auf sich hat?" Peter. Sie nannte ihn nicht mehr Pan. Lag es an der Verletzlichkeit, die er im Moment ausstrahlte? Oder war es etwas anderes?

„Du möchtest die Wahrheit hören? Ich möchte wieder zurück, zurück nach Neverland. Neu anfangen...", stellte er ihr sein Ziel dar.

Avis spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte und brachte ein ersticktes lachen hervor: „Neu anfangen? Ich verstehe, dann sollte ich wohl jetzt gehen?"

Er nickte zögernd: „Glaub mir, Avis, es ist besser so. Du hast viel zu viel durch mich verloren...Ich hätte dich niemals auf der Insel festhalten dürfen."

„Nein, du hast mich nicht festgehalten. Neverland war auch mein zu Hause. Mein Neuanfang. Was du getan hast war mich zu belügen und für deine Machenschaften zu benutzen obwohl du genau wusstest, wie ich für dich empfand."

Zum ersten Mal spiegelte sich ernsthafte Reue in seinem Blick wieder. „Empfinde."

„Nein, Peter," sie trat einen Schritt zurück.

„Ich habe immer versucht dich zu beschützen, weil ich gespürt habe, dass etwas geschehen würde."

„Beschützen nennst du das?" Tränen sammelten sich in ihren Augen und trübten ihre Sicht. „Ich habe immer gehofft du würdest etwas ähnliches zu mir sagen. Aber nach allem was ich herausgefunden habe..."

Er sagte nichts. Sah sie nur an.

„Du hast mich manipuliert. Du hast mein Vertrauen missbraucht und mich versucht zu kontrollieren; hast jeden meiner Schritte verfolgen lassen. Meine Gefühle waren dir egal, ich musste tun was du wolltest, dir ohne Fragen folgen und Glauben schenken. Deine höchste und einzige Priorität in deinem Leben warst du und deine Pläne, und ich und alle anderen Verlorenen Jungs sollten deine Ziele übernehmen. Du hast mit mir geredet wann und über was du wolltest, meine Anliegen waren weniger als zweitrangig, du hast mich ignoriert, wenn dir etwas nicht passte und es war an mir herauszufinden, wie ich mich zu verändern und zu verstellen hatte, damit du mich wieder benutzen kannst."

Er wollte etwas sagen, doch sie unterbrach ihn erneut. Ein letztes Mal.

„Das ist keine Liebe und war es nie. Es ist Gift. Spar dir deine Lügen für jemand anderen."

Er begann vergeblich etwas zu sagen, doch sie hörte ihm nicht mehr zu, würde ihm nie wieder zu hören.

Sie wollte nur noch fort von hier. sie war fertig mit ihm, hatte ihm alles gesagt, was sie dir Jahre über in ihr angestaut hatte. Tränen liefen ihr übers Gesicht, die sie wütend wegwischte.

***

Avis hatte sich einen ruhigen Ort gesucht. Sie wollte allein sein, niemandem mehr hier in der Unterwelt begegnen. Sie hatte jeden aus ihrem Leben verloren, der ihr einmal etwas bedeutet hatte. Was war ihr Unerledigtes Geschäft? Wenn sie mit hilfe dessen wieder ins Leben zurück kam und noch einmal neu anfangen durfte, wollte sie es so schnell wie möglich finden.

Eine Frage war noch die Sache mit dem Schatten. Er hatte mit der Stimme dieser Frau gesagt, dass Avis seit ihrem siebzehnten Lebensjahr gelenkt wurde. Plötzlich war ihre Trauer wie weggefegt. Sie sprang auf und rannte los, in der Hoffnung einen der Wege in die unterirdischen Tunnel zu finden. Sie hatte ein Geschäft zu erledigen.

Once Upon A Time - Losing AverilWhere stories live. Discover now