Willkommen in Underbrooke

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Viel zu lange folgte sie den blauen Fackeln weswegen sie abrupt stoppte, als der Tunnel hinter einer Biegung plötzlich steiler anstieg und an dessen Ende sie trübes Licht erkennen konnte. Ein Gefühl von Unsicherheit machte sich in ihr breit, sie hatte nicht die geringste Idee von dem, was sie dort draußen erwarten würde. Dann holte sie einmal tief Luft und trat den Weg nach oben an.

Avis trat aus dem Tunnel heraus und musste ein paar Mal blinzeln, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten. Sie befand sich am Waldrand. In der Nähe erkannte sie die Häuser einer kleinen Stadt, aber irgendetwas war merkwürdig an diesem Anblick. Der Himmel war rot, kein dunkles Rot, eher wie die Glut eines Feuers. Die gesamte Landschaft sah aus wie unter einem trüben Schleier und schien als wäre sie von einer feinen Ascheschicht bedeckt.

Ein Pfad schlängelte sich an eine breite Straße heran. Etwas unsicher nahm Avis das Pflaster in Augenschein. Es war ganz glatt, bis auf ein paar Risse aus denen dunkler Rauch quoll. Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges gesehen. Plötzlich raste etwas Großes mit lautem Brummen an ihr vorbei und ließ sie zusammenzucken. Neugierig schaute sie dem Gefährt hinterher, bis es zwischen den Häusern verschwand. Wenn sie Antworten finden wollte war die Stadt wohl der beste Ort, um ihre Suche zu beginnen.

Tatsächlich waren in der Stadt viele Leute unterwegs. Jedoch würdigten sie Avis keinerlei Blicke, sondern gingen allen ihren Geschäften nach, eilten dabei von links nach rechts und drängten sie zur Seite. Sie ging langsam die breiten Straßen entlang. Dabei sah und erkannte sie allerlei merkwürdige Dinge, die sie in ihrem Leben noch nie zuvor gesehen hatte. Kutschen ohne Pferde, wie die die zuvor an ihr vorbeigerauscht war. Auch waren hoch oben zwischen den Häusern Seile gespannt, die wohl kaum zum Wäsche trocknen dienen konnten. Die Häuser sahen allgemein ganz anders aus, als sie in Erinnerung hatte. Irgendwie machten die ganzen neuen Eindrücke Avis Angst. So viel Unbekanntes. So viel Merkwürdiges. Sah so etwa die Unterwelt aus? Dieses Bild der Unterwelt passte so gar nicht zu all den Dingen, die sie sich immer vorgestellt oder erzählt bekommen hatte.

Sie blieb an einem Schild stehen. Granny's Diner. Viele Leute gingen dort ein und aus. Es schien also ein öffentliches Gebäude zu sein. Sie würde einfach dort Fragen, ob ihr jemand weiterhelfen konnte.

Sie wollte gerade durch das Holztörchenr treten, doch sprach sie plötzlich jemand von hinten an: „Hey, dich habe ich hier noch nie gesehen. Bist du neu hier, Kleine?"

Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sie hätte nicht damit gerechnet diese Stimme in ihrem Leben noch einmal zu hören. Nun, technisch gesehen war dies nicht mehr ihr Leben aber dennoch war dies weitaus mehr unerwartet.

Sie drehte sich ruckartig um und stand ihm gegenüber. Liam. Er schien genauso geschockt wie sie, denn er trat einen Schritt nach hinten und für einen Augenblick starrten die beiden sich nur an. Er sah noch genauso aus, wie an jenem Tag vor unzähligen Jahren, als Killian ihn in das kleine Ruderboot gesetzt hatte. Einzig und allein seine Kleidung war anders. Sie hatte Ähnlichkeiten mit der Kleidung der Retterin und ihrer Gruppe von Möchtegern-Helden. Modern.

Mit einem Klingeln öffnete sich die Tür des Diners und jemand trat heraus. Liam beobachtete die junge Frau im vorbeigehen und nickte ihr kurz zu. Avis sah sie nur von hinten, ihre dunklen, zu einem Zopf gebundenen Haare und den grauen Mantel.

„Avis! Was tust du hier?", brach Liam das Schweigen, als die Frau außer Hörweite war.

Sie öffnete den Mund bevor sie wirklich wusste was sie sagen wollte: „Ich bin... Ähm... Das Gleiche könnte ich dich fragen, Liam! Aber ja, ich bin tatsächlich neu hier. Was auch immer der Name dieser Stadt ist."

Er schmunzelte bevor er antwortete: „Underbrooke, nennen wir das hier. Ich habe keine Ahnung warum ich hier bin. Ich bin schon so viele Jahre hier, aber ich finde keinen Grund, du weißt schon, das Unerledigte Geschäft, wie sie es nennen..." Liam brach ab und stutzte. „Aber... einem Moment", er trat auf sie zu und betrachtete sie genauer: „wieso siehst du genauso aus wie damals, nur deine Haare sind...länger?" Er hatte noch mehr sagen wollen, stoppte aber aus unerklärlichen Gründen.

Avis zögerte kurz, antwortete ihm nicht gleich, denn sie war misstrauisch geworden: „Ich habe mich einfach wenig verändert." Hastig fügte sie noch hinzu: „Genau wie du und Killian."

„Ist er etwa auch hier?", fragte er schnell.

Er wirkte ein wenig panisch auf Avis. „Liam, was ist hier los? Warum bist du hier?", fragte sie ruhig und kniff die Augen zusammen.

Er wich ihrer Frage aus indem er einfach nur den Kopf schüttelte und kehrt machte. Sie blickte ihm nach, bis er sich noch einmal umdrehte und ihr über die Straße hinweg zurief: „Lass mich einfach in Ruhe, kleine Schwester! Du hast mich damals verlassen und verraten, mit dieser Entscheidung musst du klarkommen!"

Sprachlos stand sie einfach nur da und blickte ihrem Bruder nach. Er war also der Überzeugung, dass sie ihn verraten hatte? Sie fasste sich an die Stirn. Ihr Kopf dröhnte von all den neuen Fragen, die im Minutentakt hinzu kamen. Bloß Fragen, niemals Antworten.

Wollte denn niemand hier ihre Fragen beantworten? Liam hatte sie offensichtlich belogen. Er wusste was sein Unerledigtes Geschäft war, sie spürte es einfach. Sie nahm sich vor es ebenfalls herauszufinden. Sie hatte ja Zeit genug, schließlich war sie bereits tot. Ein Unerledigtes Geschäft mehr oder weniger herauszufinden änderte nichts mehr an ihrer Situation.

Seufzend wandte sie sich in zur Eingangstür des Diners und musterte die Fassade. Es schien wie die meisten Häuser ein wenig heruntergekommen. Mit großen Schritten trat sie auf die Tür zu und öffnete sie.

Once Upon A Time - Losing AverilWhere stories live. Discover now