Kapitel 2 ~ Verräterblut

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Sie wirkte etwas jünger als ich, war selbst für eine Elfe klein und wirkte so zerbrechlich, als wäre ihre mondlichtweiße Haut aus Glas. Jede einzelne ihrer leicht gelockten Haarsträhnen hatte eine andere Farbe. Nach genauerem Hinsehen wurde mir klar, dass sich die Farben Pastellblau, Pastelltürkis, Pastellrosa und Pastellviolett immer wieder abwechselten. Bis auf zwei Locken, die ihr zierliches, wunderschönes Gesicht umrahmten, waren sie mit bronzefarbenen Zweigen nach hinten gesteckt, sodass man ihre spitzen Elfenohren gut sehen konnte. Ihr Kleid hatte die Farbe von frisch vergossenem Blut und rann wie ein Fluss aus Seide an ihrem Körper hinab. Ein durchscheinender Schleier aus etwas hellerem Rot schmiegte sich um den bodenlangen Rock des eigentlichen Kleides, wanderte über den linken Teil ihres Oberkörpers und über ihre Schulter, sodass hinter ihr ein schimmerndes Gespinst aus Stoff flatterte. Eine rotgoldene Fiebel hielt den Stoff über ihrer Schulter und ein gleichfarbiger Gürtel aus Metallblättern lag um ihre Hüfte. An ihrem rechten Arm schlang sich eine metallene Blütenranke hinauf, deren edelsteinbesetzte Blätter so fein gearbeitet waren, dass man glauben könnte, sie wären echt. Das Kleid wirkte, als wäre es aus sengendem Feuer, welches eine Schneekönigin umschloss. Doch das, was mich am meisten in seinen Bann zog, waren ihre Augen. Sie waren so groß, dass man sie unmöglich übesehen konnte. Die langen, unnatürlich dunklen Wimpern hatten es vielleicht auf den ersten Blick verborgen, doch nun war es mehr als nur offensichtlich. Ihre Pupillen waren schlitzförmig wie die einer Katze, die Farbe ihrer Augen erinnerte mich an ein einen Gletscher. Ein strahlend helles, fast schon weiß schimmerndes Aquarmarintürkis mit goldenen Funken, als wäre in ein Feuer in einer Eiswüste angezündet worden.

Sie starrte Cardan noch immer an, mit einer Mischung aus Schreck und Unsicherheit und stand da, als wäre sie eingefroren. „Crystal, hör auf den Hochkönig anzustarren." Madoc legte ihr eine Hand auf die Schulter und augenblicklich schien er sie aus einer Art Trance gerissen zu haben. Sie blinzelte einmal und zuckte dann sichtlich zusammen. „Entschuldigt bitte, eure Majestät. Das ist Crystal, meine Tochter. Sie ist es nicht gewöhnt, so viele Leute um sich zu haben." Ich höre ihm nach dem ersten Satz kaum mehr zu und auch Cardan hob eine Augenbraue. „Tochter?", widerholte er ziemlich irritiert und sah von mir zu Crystal und wieder zurück. Der Blick in seinen Augen war vorwurfsvoll. Ich konnte ihn förmlich sagen hören, was ich gerade selbst dachte. Seit wann hat Madoc eine Tochter namens Crystal? Madoc nickte. „Ja. Crystal ist von zwei Monaten vor meiner Tür aufgetaucht und hat mir die tragische Geschichte erzählt, die allem Anschein nach geschehen ist. Ihre Mutter ist wohl vor vielen Jahren gestorben und vor einiger Zeit hat sie dann ihr Zuhause verlassen, als herausgefunden hat, dass ich ihr Vater bin."

„Und die Mutter war...?", fragte ich langsam mit gerunzelter Stirn. „Sie hat mir nie gesagt, wer sie war. Es war nur eine kurze Begegnung, was auch erklärt, warum ich mich nicht an sie erinnern konnte. Ich wusste nicht einmal, dass Crystal existiert, geschweige denn, wer die Frau war, die sie auf die Welt gebracht hat. Vergiss nicht Jude, ich hielt auch deine Mutter lange für tot." Meine Finger krallten sich in den Stoff meines Kleides. „Glaub mir, das werde ich nicht vergessen."

„In jedem Fall habe ich Crystal nun bei mir aufgenommen und habe sie heute mitgenommen, damit sie anfängt, sich an mehre Leute auf einem Raum zu gewöhnen." Crystal hatte das ganze Gespräch über schweigend auf die festgetretene Erde geblickt, ohne aufzusehen, doch als Madoc nun das Wort an sie richtete, schoss ihr Kopf nach oben. „Ich werde mir etwas zu trinken holen. Möchtest du auch etwas?" Sie schüttelte leicht den Kopf und warf einen vorsichtigen Bllick zu mir hinüber. Nachdem Madoc und Oriana gegangen waren, wobei letztere Crystal einen überraschend aufmunternden Blick zuwarf, sah sie wieder unsicher zu Boden. Offenbar schien sie sich wirklich nicht sehr wohlzufühlen. Ich fragte mich, ob sie von Madocs Plänen wusste und vielleicht sogar einer von ihnen war. „Also dann.", brach Cardan die unangenehme Stille schließlich und trank einen großen Schluck aus der Weinflasche, „Ich bin dann mal weg. Ist ja schließlich kein Spaßfest hier für mich." Er warf mir einen bösen Blick zu und verschwand in der Menge. Ich war mir ziemlich sicher, dass er gleich zum nächsten Tisch mit Getränken ging, aber ich ließ es dieses Mal bleiben, ihm zu folgen. Stattdessen sah ich nachdenklich zu Crystal, die Cardan kurz nachblinzelte und in all den Tanzenden seltsam verloren wirkte. Es war nicht normal. Sie war eine Elfe, das war offensichtlich, trotzdem schien sie nicht abschütteln zu können, was auch immer sie unglücklich machte. Als hätte sie meinen prüfenden Blick gespürt, richtete sie ihre eigenartigen Augen auf mich und lächelte matt. „Tanzt du nicht?", fragte ich schließlich. Sie schüttelte leicht den Kopf und sprach nun zum ersten Mal. Ihre Stimme war so zart und weich wie ein Schmetterlingsflügel. „Nein, heute nicht."

ElfenkussWhere stories live. Discover now