Kapitel 19 ~ Wenn sich Fuchs und Hase "Gute Nacht" sagen

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Ich konnte nichts anderes tun, als ihn einfach nur vollkommen entsetzt anzustarren. Es lief wieder alles vor meinen Augen ab. Jedes Gespräch, jeder Streit, jede Sekunde in Zeitlupe. Er sah noch immer haargenau so aus wie früher. Kein Wunder, es war auch nicht viel Zeit vergangen, aber ich konnte momentan einfach nicht klar denken. Seine filigran bestickte, moosgrüne Robe hob Haar und Augen noch mehr hervor. Kurz huschten meine Augen über seine Schulter. Taryn neben ihm trug die gleichen Farbtöne. Zumindest nahm ich an, dass es Taryn war, immerhin glich sie Jude aufs Haar und ich konnte zwei verschiedene Kleider voneinander unterscheiden. Im Gegensatz zu Jude war ihr Gesicht nicht hart, sondern wirkte eher verwirrt und besorgt.

Mit einem Blinzeln riss ich mich von dem Anblick los. Ich machte einen Schritt nach hinten. Mein Plan wäre es gewesen, mich umzudrehen und mir einen anderen Weg zu suchen, Cardan zu entwischen. Ah ja, und jetzt auch noch Vater und Locke. Leider stieß ich gegen eine weitere Person, stolperte über deren Füße und drehte mich erschrocken zur Seite. Oh verdammt! Jetzt war ich zwischen Locke und Cardan gefangen. Nicht gut. Gar nicht gut.

Cardan sah so aus, als wäre er etwas außer Atem, obwohl er es eigentlich leichter haben sollte, sich durch sein Volk zu bewegen. Aber was wusste ich schon. Man konnte die seltsame Spannung förmlich spüren. Cardan funkelte Locke mit einem Blick an, in dem sich sowohl Freude als auch Verwirrung und sogar ein bisschen der angsteinflößenden Kälte lagen. Locke wiederum wirkte so entspannt wie immer, Taryn war einfach nur noch verwirrt und ich wünschte mir, nie auf diesen Ball gekommen zu sein. „Oh, guten Abend, eure Majestät." Locke machte eine kleine Verbeugung, die eher an einen Spaß als an ernsthaften Respekt erinnerte, während Taryn hastig in einen Knicks sank. „Guten Abend, Locke.", Cardan lächelte kurz, wobei er mir einen fragenden Blick zuwarf, „Ihr kennt euch?"

In dem Moment, in dem Locke „Aber natürlich" sagte, schüttelte ich den Kopf. „Wir kannten uns einmal."

„Was jetzt?" Locke ignorierte ihn fast schon und ging einen Schritt näher an mich heran. Sein Lächeln machte mir Angst. „Was denn, jetzt kommst du wieder mit der alten Schiene?"

„Ich habe meine Vergangenheit hinter mir gelassen, Locke. Wir beide sind abgeschlossen. Ich habe meinen Platz in der Familie meines Vaters eingenommen und werde nicht zurückgehen."

„Wie kannst du Dinge hinter dir lassen und noch immer Angst vor ihnen haben? Vor mir?" Seine Worte trafen mich wie ein Schlag in die Magengrube. Allein von seinem Anblick wurde mir übel. Das Sprechen fiel mir schwer. „Tu nicht so, als würde es dir etwas ausmachen. Dir wäre es nur gelegen gekommen, wenn ich bei der Suche nach Madoc gestorben wäre." So wie ich schon einmal gestorben bin. Weil du mich zum Sterben zurückgelassen hast. „Oh Crystal. Du hattest schon immer einen Hang dazu, alles zu überdramatisieren."

„Das muss ich von dir gelernt haben."

„Ich dramatisiere nicht. Ich inszeniere." Ich schnaubte auf. Angst und Wut wechselten sich rasend schnell miteinander ab. Wut ließ mich kontern, Angst ließ mich bei jedem Wort schmerzlich zusammenzucken. „Oh ja, natürlich. Locke Staircraí, der König der Geschichten, das hätte ich fast vergessen." Er lachte über meinen verachtungsvollen Tonfall nur. „Du hast mich lange nicht mehr so genannt. Ich hätte nie damit gerechnet, dass du es je als Beleidigung verwenden würdest."

Für eine Sekunde flackerte wieder Trauer durch meine Augen. „Lass die Spielchen, Locke. Sag mir nur eins. War ich für dich je mehr als eine Geschichte? Hast du in mir je mehr gesehen als interessante Handlungsstränge? Soll ich auch noch den letzten Funken Hoffnung in dich verlieren oder hast du eine letzte Chance verdient? Und ich bitte dich: Sag mir einmal im Leben deine Gedanken ins Gesicht." Kurz wurde Lockes Miene so ernst wie meine. Er sah mich an und ich spürte wieder, dass wir trotz allem noch nicht miteinander fertig waren. Unsere Geschichte war noch nicht zu Ende erzählt. Wir waren aneinandergebunden wie es nur durch solche Umstände wie unsere sein konnte und wir würden diese Bindungen nie ganz kappen können.

ElfenkussWhere stories live. Discover now