Kapitel 22 ~ Abschied

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Crystals Sicht:

Ich hielt meine Arme verschränkt und blieb vor der Tür zu Cardans Arbeitszimmer stehen. Meine Lippen waren fest zusammengepresst und auch wenn ich es nicht wollte, konnte man mir meine Wut ansehen. Einen ganzen Monat ging das jetzt schon so. Jeden Tag fand irgendjemand eine andere Ausrede, damit ich keine Zeit für den Unterricht hatte oder Cardan nicht kommen konnte. Anfangs war es mir gar nicht aufgefallen, wie unlogisch manche Ausreden waren, aber inzwischen war es so auffällig, dass selbst die dümmste Person sich wundern würde. Und heute kam dann auf einmal eine Nachricht beim Essen, dass ich in das Arbeitszimmer des Hochkönigs kommen sollte. So langsam wurde ich wirklich sauer. Ja, ich fühlte mich versetzt. Zugleich machte ich mir Sorgen und hatte Gewissensbisse, weil ich ja nicht wissen konnte, ob Cardan wirklich nur wenig Zeit hatte und ich da schlicht und einfach nicht mehr reinpasste. Mit einem lauten Seufzen klopfte ich an und wartete.

Die Tür wurde geöffnet und ich blickte direkt in Judes Gesicht. „Komm rein.", sagte sie kühl, nachdem sie zuerst mich und dann den Gang genaustens gemustert hatte, und trat beiseite. Ich sah sie nicht weniger kritisch, aber dafür umso verwirrter an, bevor ich eintrat. Das Arbeitszimmer war in kühlen Farben gehalten und nichts, absolut nichts, deutete darauf hin, dass es benutzt wurde. Ich meinte sogar, Staubspuren auf dem Tisch zu sehen. Eins war klar, Cardan war nicht oft hier, wenn er es überhaupt je gewesen war. Ich tippte darauf, dass sich in seinen Privaträumen ein weiteres Arbeitszimmer befand und deswegen dieses hier nicht genutzt wurde. Jude ging um den großen Tisch in der Mitte des Raumes herum und ließ sich in Polster des silbernen Sessels sinken. Mit einem knappen Nicken bedeutete sie mir, mich auf den Stuhl davor zu setzen. Ich gehorchte langsam, blieb allerdings noch immer skeptisch. Irgendwas stimmte nicht. Cardan war nicht hier.

„Du fragst dich wahrscheinlich, warum ich mit dir sprechen wollte.", begann meine Adoptivschwester ohne Umschweife. Ich nickte. „Ja, das frage ich mich auch." Obwohl du nicht diejenige bist, die mich hergeholt hat. „Es geht um deine Aufgabe hier. Wir haben uns innerhalb der letzten Tage beraten und entschieden, dass du nicht länger Cardans Lehrerin sein wirst.", ich öffnete den Mund, um zu protestieren, doch sie achtete gar nicht auf mich, „Außerdem bist du noch zu jung für die Arbeit einer Hofartefaktorin. Dieser Job beinhaltet sehr anspruchsvolle Aufgaben und auch, wenn wir nicht an deinem Können zweifeln, wollen wir dir keineswegs so viel zumuten."

„Aber ich..."

„Du wirst in drei Tagen den Hof verlassen. Madoc ist bereits informiert. Du solltest die verbliebene Zeit vielleicht noch nutzen, um dich schonmal von allem zu verabschieden und anfangen, zu packen. Ich habe gehört, einige deiner Artefakte brauchen eine Sonderbehandlung." Jude stand wieder auf, doch ich konnte nichts anders tun, außer sie komplett verwirrt anzusehen. Ich verstand das nicht. Warum glaubte sie auf einmal, dass ich nicht genug Wissen für diese Aufgabe mitbrachte? Immerhin war sie es doch gewesen, die mich kontaktiert hatte. Ich hatte eindeutig in den vergangenen paar Monaten bewiesen, dass ich dazu fähig war, die Arbeit eines Hofartefaktors und zusätzlich die einer Lehrerin zu bewältigen. Jude hob die Augenbrauen, als ich mich nicht rührte und ruckte mit dem Kopf in Richtung Tür. Nur sehr zögerlich stand ich auf und ging zum Ausgang des Arbeitszimmers. Kurz, bevor meine Hand die Klinke berühren konnte, hielt ich jedoch noch einmal inne und wandte ihr den Kopf zu.

„Warum hat der Hochkönig mit das nicht selbst sagen können, wenn er mich schon herbestellt hat?" Ich konnte in ihrem Gesicht keine Regung erkennen, während sie mir antwortete. „Als Seneschallin seiner Majestät bin ich befugt, Leute auch in seinem Namen holen zu lassen. Cardan ist momentan schwer beschäftigt mit streng geheimen Dingen. Ich hoffe, du verstehst, dass er nicht zu jedem Gespräch mit dir anwesend sein kann." Ich sah sie zuerst verwirrt, dann ein wenig ungehalten an. „Das habe ich auch nicht verlangt. Ich hätte nur gedacht, dass man zumindest seine Lehrerin verabschieden könnte." Ich wettete, dass das nicht Cardans Idee gewesen war. Entweder, Jude hatte das wieder einmal ganz allein entschieden und log, oder ich hatte mich wirklich in ihm getäuscht. Oder sie haben von dem Plan erfahren. Aber dann wäre Vater sicherlich nicht mehr in der Lage, sich um mich zu kümmern.

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