Epilog

193 6 0
                                    


Es stürmte auf Insmire, doch im Inneren des Palastes war nichts von dem Wind, dem Regen oder den peitschenden Wellen zu bemerken. Nicht einmal die Blitze, die wie Dolche das Dunkel der Nacht zerschnitten, fanden Beachtung. Alles lachte, tanzte und summte nur so vor Freude. An den langen Tischen standen Wesen verschiedenster Völker und erfreuten sich an den zahllosen Speisen und Getränken, ebenso wie an den lachenden Gesichtern der Umstehenden. Crystal saß auf einer der Armlehnen des Thrones und sah auf die fröhliche Menge hinunter. Blüten steckten in ihren fischgrätenähnlichen Zöpfen, auf ihrem Kopf lag ein Kranz aus Lilien und Engelstrompeten wie eine Krone. Sie fühlte sich beobachtet. Während sie dasaß und wartete, fiel ihr Blick auf ein Mädchen am Rande des Thronsaales. Sie lachte nicht, sondern hatte die Arme verschränkt und starrte mit schmalen Lippen und hasserfüllt funkelnden Augen zu ihr herüber. Schwarze Perlen durchzogen Nicasias Haar und ließen es noch dunkler erscheinen, ihr Kleid aus Muscheln und Netzen wirkte wie aus dem Meer selbst gewoben. Wenn sie das Meer war, dann waren ihre Augen Taifune, die drohten, die Welt um sie herum zu verschlingen. Eine Weile musterten die beiden Frauen sich gegenseitig, die eine voller Zorn, die andere mit Besorgnis. Gegensätze, die sich zerstören würden, wenn sie zu lange miteinander zu tun hatten und alles mit sich in die Tiefe reißen würden, wenn man ihnen keinen Einhalt gebot. Crystal wusste, es war noch nicht das Ende. Die Tiefsee, Balekin, vielleicht sogar ihr eigener Vater, sie alle könnten ihr Glück zerstören. Tiefe Falten bildeten sich auf ihrer Stirn, doch der Bann wurde gebrochen, als sie eine Hand auf ihrem Bein spürte und den Blick abwandte.


Cardan lächelte sie an, hob sie mit einer fließenden Bewegung hoch und wirbelte sie einmal im Kries herum. Ein überraschtes Lachen entwischte ihr, während sie sich an ihm festhielt. „Was sollte das denn jetzt werden?" Er ließ sie wieder zu Boden, drückte ihr jedoch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und zog sie in Richtung der Treppe. „Die Frage nach einem Tanz, den du mir noch schuldest?", fragte er mit einem schelmischen Grinsen, „Immerhin haben wir beide den letzten nicht zu Ende getanzt." Sie musste wieder lachen und schüttelte über sein Verhalten den Kopf, während ihr das Blut in die Wangen stieg. Aus dem Augenwinkel sah sie Pandora, die energisch einen deutlich verunsicherten Geist auf die Tanzfläche schubste und sich zur gleichen Zeit mit Jude unterhielt. Irgendwo steckte auch Kakerlak unter einer Maske, das wusste sie und bestimmt war Bombe gerade dabei, jemandem die Taschen zu leeren. Vielleicht war ihr Bruder irgendwo, gemeinsam mit Taryn, doch sie schob den Gedanken hastig beiseite und konzentrierte sich voll und ganz auf Cardan. Auf das Gute im Leben. „Ein ganz schön verrückter Haufen. Fast so verrückt wie ihr König."

„Und fast so schön und wandelbar wie ihre zukünftige Königin.", scherzte er und zog die Augenbrauen hoch, „Was ist jetzt? Tanzt du mit mir oder hast du Angst, dass ich dir auf die Schuhe steige?" Schmunzelnd ergriff sie seine ausgestreckte Hand. Für den Moment war ihre Welt perfekt. Für den Moment verschwand alles aus ihrem Kopf. Für den Moment spürte sie ihren Herzschlag stärker denn je, während für den Moment die goldene Eichel leuchtete wie die Sonne selbst. Für den Moment dachte sie nicht an die Gefahren, die ihnen noch bevorstehen könnten, sie dachte nicht daran, dass Tiefsee und alle anderen Länder eine Bedrohung darstellten, sie dachte nicht daran, was sich nun alles verändern würde, sie dachte nicht daran, was nun alles auf dem Spiel stand. „Mit dir tanze ich so oft, wie du möchtest und so lange, bis du den Tanz beendest."


~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~



Sie saß am Rand der Klippe und baumelte wie ein kleines Kind mit den Beinen, während sie die Sturmwolken betrachtete. Er konnte sie schon von Weitem sehen, obwohl sie für den Rest der Welt unsichtbar war. Doch das war er ja selbst auch. Sie hörte seine Schritte früh und wandte den Kopf um. Ein himmlisches Lächeln erschien auf ihrem zeitlosen Gesicht, das er sofort erwiderte. Als er hinter ihr stand, erhob sie sich und gab ihm einen Kuss. „Hast du nach ihnen gesehen?" Ihre Stimme war nur ein Flüstern, der Wind hätte es übertönt, wäre sie noch ein gewöhnliches Mädchen. Doch nun war ihr Flüstern der Wind, weich und warm, doch auch in der Lage, scharf und unerbittlich zu werden. Er nickte und strich ihr durch die Haare. „Sie sind glücklich und ignorieren, was sich zusammenbraut. Aber ich glaube, sie macht sich schneller Gedanken als er." Sie sah nach unten in die schwarzen Wellen. Unter der Wasseroberfläche musste es stockfinster sein, zumindest noch. „Das hast du früher auch immer getan, mein Schatz. Sie haben es sich vorerst verdient, zu vergessen und zu lachen. Denk nur an die Prüfungen, die sie noch vor sich haben. Wir sollten froh sein, dass sie Zeit haben, um sich auf den Sturm vorzubereiten und einander zu lieben, ohne Angst zu haben, dass es jeden Moment vorbei sein könnte. Wir hatten das damals nicht."

„Wir hätten es gehabt, aber wir haben es nicht bemerkt. Hoffen wir, dass sie es schneller tun als wir." Sie neigte nur den Kopf und richtete ihre faszinierenden Augen auf den Horizont. Sie wusste, bald war es Zeit für sie, sie konnte nicht länger hier stehen und mit ihm sprechen. „Wir sehen uns in der nächsten Dämmerung?", fragte sie ihn leise, ergriff seine Hände und sah wieder zu ihm. Er lächelte, den Hauch von Trauer in den Augen verbergend, und schloss sie in die Arme. „Ist es schon wieder soweit? Ich hatte gehofft, dass es dieses Mal noch eine Weile dauern würde."

„Es geht jedes Mal schneller, das weißt du doch. Wir können unser Schicksal nicht mehr ändern, Nay, aber wir können versuchen, ihres zu bewahren und unser Bestes tun, um sie vor unserem Fall zu beschützen. Ich werde nicht lange weg sein. Es wird wie ein Wimpernschlag sein, mehr nicht." Sie wusste, dass er ihr diese Worte nicht abnahm. Sie beide kannten bereits die Macht der Gestirne und wussten, dass sie erst in einem Monat wieder bei Bewusstsein sein würden. Ja, es würde sich anfühlen wie ein Wimpernschlag, doch in Wahrheit würde mehr Zeit vergehen, zu viel für sie beide. Am liebsten wäre es ihm, wenn sie sie ganz ausblenden könnten, doch sie wurde an ihren Herzschlägen gemessen und so war es ihnen unmöglich, es ganz zu vergessen. „Bis zur Dämmerung, Lyne.", hauchte er in ihr Haar und ließ sie langsam los. Sie schmunzelte und blinzelte die Tränen fort, dann machte sie einen Schritt ins Nichts.


Sie fiel und als ihr geisterhafter Körper auf dem Wasser aufschlug und zu Mondlicht wurde, flammten vor ihrem inneren Auge die Erwählten auf. Sie hatten die richtige Wahl getroffen, als sie sich für die Beiden entschieden hatten. Sie konnten es schaffen. Sie konnten Elfenheim vor dem Untergang bewahren. Zumindest war es das, was sie hoffte. Noch einmal durften sie sich nicht täuschen, sonst hätten sie das Ende wirklich und wahrhaftig besiegelt, so wie es sie einst schon einmal getan hatten. Doch bei ihnen war es genau das gewesen, was passieren musste. Und nun musste etwas anderes passieren. Nun musste es verhindert werden. Nie wieder durfte jemand wie sie an die Macht kommen und das Reich der Elfen derart unterjochen wie sie es schon mit dem Meer getan hatte. Sie mussten sie aufhalten.

Das Licht des Mondes vereinte sich mit der Dunkelheit des Meeres, bis die Schatten es endgültig verschlangen. Sie schloss die Augen und spürte, wie ihr Geist zurück in den Himmel aufstieg und sich auflöste. In wenigen Sekunden würde ihr Bewusstsein verschwinden und von der Magie des Universums ersetzt werden. Wie immer. Einen letzten Gedanken hielt sie fest, bis sie es nicht mehr konnte.

Alles war eins. Alles war gegensätzlich. Alles war in Gefahr.

Sonne und Mond. Land und Wasser. Eis und Feuer. Winter und Sommer. Licht und Schatten. Gut und Böse. Hell und Dunkel. Liebe und Hass. Krieg und Frieden. Nayo und Arlyne. Leben und Tod.

.

.

.

Crystal und Cardan.




Sooooooooo und hiermit geht dieser Teil zuende und als hätte ich es geplant, wird auch bald dieses Jahr(zehnt) zuende gehen. Ich hoffe, dass ihr eine schöne Zeit hattet und dass euch diese Geschichte die Zeit etwas versüßen konnte. Nächste Woche sehen wir uns im zweiten Band wieder, zumindest ist das der Plan. Einen guten Rutsch euch allen,

Eure Winter

ElfenkussWhere stories live. Discover now