Kapitel 3 ~ Der Brief

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Crystals Sicht:

Mit einem leisen Schrei schoss ich nach oben und sah mich keuchend um. Meine Handlenke schmerzen als stünden sie in Flammen. Das Licht in meinem Zimmer war gedimmt, doch ich konnte alles erkennen, schließlich hatte mein Vater mir Katzenaugen vererbt. Der silberfarbene Vorhang meines Himmelbettes verdeckte einen Teil des Raumes, da ich ihn gestern zugezogen hatte. Ich wühlte mich langsam aus den schneeweißen und hellgrauen Fellen, die zusätzlich zu meinen Decken auf dem großen Bett lagen. Dann schob ich den leicht transparenten Stoff zur Seite und blickte mich verschlafen um. In den letzten Wochen hatte ich mich an den Blick in einen neuen Raum gewöhnt. Meiner Meinung war es ein bisschen zu sehr in Rosa gehalten, aber ich wollte mich nicht beschweren. Wenigstens war bis auf die Vorhänge vor dem Balkonfenster und dem großen Sofa der Großteil weiß oder grau. Mein Bett war aus weiß getünchtem Eschenholz, der Boden und die Decke, von der bunte Federn und allerlei aufgehängte Kristalle baumelten, ebenfalls. An den Wänden reihten sich silberne Vitrinen mit Artefakten und einer Menge Bücher aneinander. Vor einem der beiden Fenster stand ein weißer Schreibtisch, auf dem sich die Papierstapel nur so türmten. Das rosa Sofa stand zwischen zwei Regalen, neben einem ebenfalls roséfarbenen Sessel und hinter einem grauen Tischchen. Die Tür zum Flur lag genau gegenüber von meinem Bett, die beiden, die ins Badezimmer und meinen begehbaren Schrank führten, je links und rechts von eben jenem.

Ich schloss für einen Moment meine Augen und versuchte, die Schmerzen in mir einzuschließen, wie ich es sonst auch immer tat. Doch dieses Mal funktionierte es nicht. Mit einem leichten Kopfschütteln drehte ich mich um und ging ins Bad. Dort spritzte ich mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht und blickte in den goldgerahmten Spiegel. Ich war eine Elfe, ja. Elfen waren immer schön...zumindest glaubten das Sterbliche. Aber vielleicht konnten sie einfach nicht sehen, wenn Dinge zerbrochen waren. Vielleicht fehlte ihnen der Blick dafür zu erkennen, was hinter der ersten Schönheit lag und vielleicht – nur ganz vielleicht – war das der Grund, weshalb ich sie mochte. Sie konnten nicht sehen, dass ich zerbrach. Ich blinzelte und verbannte diese deprimierenden Gedanken aus meinem Kopf. Ich sollte einfach weitermachen. Ich musste einfach weitermachen.

Schnell griff ich nach der kleinen Holzdose auf dem Regal und kümmerte mich um meine Handgelenke. Danach verließ ich das kleine Zimmer wieder. Mein Blick fiel auf das Kleid, das nun schon seit vier Tagen an meiner Schranktür hing. Irgendwie vergaß ich immer wieder, es wegzuhängen. Als würde es mich an den Abend, an das Fest, erinnern wollen. Aber ich wollte vergessen. Dieser Abend war verwirrend für mich gewesen. Seit Jahren war ich nicht mehr so nah daran gewesen, mit einem von ihnen zu sprechen. Hör auf, deine Gedanken zu vergiften...du tust dir nur selbst weh., warnte meine Vernunft mich. Ich seufzte leise und machte mich daran, mich anzuziehen. Bestimmt erwartete Vater mich heute wieder Schwerttraining, aber ich hatte es gestern einfach nicht mehr geschafft, die Legende der tanzenden Weiden ganz zu übersetzen, weil ich immer wieder darüber eingeschlafen war. Kein Wunder, ich schlief ja kaum, wenn ich sollte. Also vielleicht ließ er sich ja überreden. Er hatte ja auch akzeptiert, dass seine Tochter nicht am Hofunterricht teilnahm, sondern sich ihren eigenen Studien widmete. Das hörte sich noch immer seltsam an. Seine Tochter...ich...

Als ich schließlich wieder aus meinem Schrank kam, ein knielanges, einfaches Kleid aus dunkelblauer Baumwolle mit einem aufgestickten Goldmuster unter der Brust und um den Kragen herum über dem Arm, wartete Oriana auf dem Sofa auf mich. „Crystal. Wie schön, dass du aufgewacht bist."

„Guten Morgen, Oriana." Ich lächelte sie sanft an und ging zu ihr hinüber. Zwar kannte ich sie noch nicht lange, aber ich hatte bei ihr ein wirklich gutes Gefühl. Sie hatte sich um mich gekümmert, nachdem ich Vater die ganze Geschichte erzählt hatte. Sie hatte meine Narben mit Heilzaubern und Wundsalbe behandelt und mich getröstet als ich mitten beim Erzählen in Tränen ausgebrochen war. Ich vertraute ihr. Und ich vertraute nicht schnell. Aber bei ihr fühlte ich ganz einfach, dass sie für mich da war. Sie erwiderte mein Lächeln. „Hast du gut geschlafen?" Prompt schüttelte ich meinen Kopf, was sie dazu brachte, besorgter dreinzublicken. „Soll ich..."

ElfenkussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt