Kapitel 25 ~ Verräter

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Das Bild habe ich im Übrigen selbst zusammengeschnitten :)

Von der Fahrt bekam ich nicht viel mit, ganz einfach, weil ich außer Ruckeln, Hufgetrappel und ab und zu mal einem leisen Raunen, das ich jedoch nicht einordnen konnte, nichts sah oder hörte. Inzwischen hatte ich auch verstanden, warum genau diese Kutsche für Gefangene aus dem Turm des Vergessens verwendet wurde. Man wurde jetzt schon komplett vom Rest der Welt abgeschirmt und fühlte sich hoffnungslos, einsam und von allen verlassen. So dachte ich über den Turm nach. Es war nur einmal vorgekommen, dass wir nach Insweal gereist waren, damals war ich vielleicht fünf gewesen. Mutter hatte dort eine alte Freundin besucht und mich mitgenommen. Die Frau war wirklich schräg gewesen...aber an mehr konnte ich mich nicht erinnern. Vielleicht wurde man so, wenn man in der Nähe des Hochsicherheitsgefängnisses von Elfenheim lebte. Von ihrem Haus aus konnte man den Turm sehen, aber die Erinnerungen daran waren nur verschwommen und so wusste ich nicht mehr genau, wie der Turm aussah. Nun, bald würde ich es wieder wissen. Und dann würde ich ihn auch von innen kennen.

Ruckartig und vollkommen unerwartet hielt die Kutsche an und ich wäre fast nach vorne von der Bank gefallen. Wenn ich mich nicht noch rechtzeitig festgehalten hätte, wäre ich vermutlich mit dem Kopf gegen die Kante der zweiten Bank geschlagen, die mir gegenüberlag. Das hätte meinen Tod bedeuten können. Auf Sanftheit konnte ich als Gefangene wohl nicht hoffen, auch wenn das klar gewesen war und Sanftheit im Elfenreich so oder so geringschätzig und von oben herab betrachtet wurde. Die Tür flog auf und eine der inzwischen maskierten Wachen zog mich am Arm nach draußen. Durch das für mich plötzlich gleißend helle Licht konnte ich nichts sehen. Ich stolperte und fiel hin, doch niemand nahm es zur Kenntnis oder versuchte, mir zu helfen. Möglichst würdevoll stand ich wieder auf und klopfte den Dreck von meinem Kleid. Zwar fiel es auf dem dunkelgrauen Stoff kaum auf, aber es war einfach eine Angewohnheit. Kaum stand ich wieder auf beiden Beinen, wurde ich auch schon grob weitergezerrt.

Ein letztes Mal warf ich einen Blick nach hinten. Zuerst auf die Kutsche, welche bereits wieder verschlossen war und scheinbar nur noch auf die Rückkehr der Wachen wartete. Der Kutscher war weiterhin unter seinem Mantel verborgen, aber ich hatte das Gefühl, dass er mich prüfend betrachtete und mir genau in die Augen sah. Nun wanderte mein Blick über das Wasser zum Ufer von Insmire und Trauer schlich sich in meine Augen. Ich verstand das alles einfach nicht. Was war schiefgelaufen und was in aller Welt war geschehen, dass ich nun hier war? Du wirst vermutlich noch genug Zeit haben, um darüber nachzudenken.

Der kurze Weg bis zum Eingang des Turmes verlief ohne Gespräche, nicht einmal unter den Wächtern. Das wunderte mich um ehrlich zu sein nicht, wer würde schon in Anwesenheit einer Verräterin über irgendetwas sprechen? Ich bin keine Verräterin. Eine Wache mit tannengrüner Maske trat aus dem kleinen Kreis heraus und schlug deutlich hörbar gegen das schwarze Eichenholz, aus dem das Tor bestand. Ich registrierte auch die eisernen Beschläge an der Tür und die Eisenblöcke, welche immer wieder wie Erker aus dem ansonsten steinernen Gebilde herausragten. Mir war klar, warum es hier war. Es dämmte unsere Magie ein und verhinderte so einen Ausbruch. Die Angeln der Tür quietschen schmerzhaft laut, was meinen Blick wieder auf das halbrunde Loch lenkte. In der Tür stand eine Kreatur, die mich entfernt an sehr großen, sehr beharrten Menschenfresser erinnerte. Wenn man davon absah, dass er keinerlei Ähnlichkeit mehr zu Sterblichen hatte. Er gehörte definitiv nicht zu den Fearie, doch seine Rüstung, welche das Wappen der Stechwindenlinie schmückte, stellte zumindest klar, für wen er arbeitete. Was werden sie wohl Cardan sagen?


„Crystal Nightshade, bis zum Verhör und möglicherweise darüber hinaus von Jude Duarte, Seneschallin des Hochkönigs, in den Turm des Vergessens geschickt. Gefangene des höchsten Status, Verbot von Kontakt mit anderen Gefangenen.", ratterte der grün maskierte Wächter hinunter. Der Turmwärter musterte mich mehrere Sekunden lang kritisch, dann nickte er knapp und trat beiseite. Ich bekam einen Stoß zwischen die Schulterblätter und stolperte durch die Tür. Augenblicklich legte sich die Macht des Eisens über mich und drückte jegliche Magie nieder, sogar seine. Aber das war nicht das Bedrückendste an diesem Ort. Ich verstand nun, warum Insweal die Kummerinsel war. Es war, als würde jede Träne, die ich je vergossen hatte, mich ertränken und in Tiefen aus Kälte und Angst ziehen. Die Gefühle der Gefangenen - ob lebend oder verstorben - lasteten schwer auf wie ein metallener Mantel auf meinen Schultern. Wie kann man hier nur freiwillig leben?

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