Kapitel 16 ~ Zerbrochene Uhren

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Die Schneiderin war komplett euphorisch, als ich am nächsten Tag an ihrer Tür klopfte und ihr erklärte, dass ich doch noch ein Kleid brauchte. Kurzerhand zog sie mich in den Raum, schob mich auf ein kleines Podest und befahl: „Raus aus dem Kleid, damit wir Maß nehmen können." Ich tat wie mir geheißen und wartete, bis ihre Assistentin, ein kleines Flussnymphenmädchen mit graublauen Hörnern und meergrünen Schuppen an den Wangen, so gut wie jeden Teil meines Körpers abgemessen hatte. Unterdessen fragte ihre Chefin mich gründlich über alles von Farbe über Stoff bis hin zur Verzierung aus. Ich war zwar etwas überfordert, da ich mich seit Jahren nicht mehr auf einen Ball vorbereitet hatte, gab mir aber die größte Mühe, sie zufriedenzustellen. Hinzu kam noch meine Müdigkeit. Seit ich von meinem Gespräch mit Cardan zurückgekehrt war, hatte ich nicht geschlafen. Mit anderen Worten, ich hatte üerhaupt nicht geschlafen. Kein Wunder, mein Herz hatte schmerzhaft schnell geschlagen und mein Kopf hatte nicht verstanden, was mit mir losgewesen war. Ich hatte mich doch immer darauf verlassen können, dass ich eine logische Erklärung fand, aber jetzt stand ich vor einer Sackgasse. Wie hatte Cardan es bloß geschafft, dass ich trotz all meines Widerstands, etwas für ihn empfand? Es war unglaublich. Einfach nur noch unglaublich.

Umso dankbarer war ich für die Pause heute. Vielleicht hatte Pandora ja auch Zeit oder ich konnte endlich mal wieder ganz in Ruhe ein Artefakt untersuchen. Oder du kannst schlafen. Oder ich konnte schlafen...ach was, das wurde überbewertet. Ich hatte noch genug Jahrhunderte zum Schlafen übrig. Nachdem ich von der Schneiderin entlassen worden war, welche mir ein Kleid, von dem man glauben konnte, dass es lebte – Ihre Worte, nicht meine! – versprochen hatte, ging ich den Gang zu Pandoras Zimmer entlang. Ich fragte mich dabei, ob Cardan der Schneiderin wohl erzählt hatte, dass ich seine Begleitung war. Das würde immerhin ihre großartige Laune erklären. „Pandora, bist du da?", fragte ich und klopfte an die Tür. Da keiner antwortete, ging ich davon aus, dass sie nicht da war. Nochmal nachsehen würde ich sicherlich nicht. Lilian würde mich jetzt vielleicht nicht mehr fressen wollen, aber sicher war sicher.

„Suchst du jemanden?" Ich sah zur Seite und blickte Jude direkt ins Gesicht. Fast wäre ich zurückgezuckt, weil sie so lautlos aufgetaucht war, wie ich es sonst nur von mir selbst und ein paar anderen kannte. „Oh, hallo Jude. Ja, ich wollte gerade nachsehen, ob Pandora da ist."

„Die ist wie alle anderen Vertrauten mit den Vorbereitungen für den Sonnenwendenball beschäftigt. Sie kommt frühestens zum Abendessen wieder. Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?" Das Wort helfen hörte sich aus ihrem Mund irgendwie nicht sonderlich nett an. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, schon in Ordnung. Ich wollte nur kurz nach ihr sehen, war nichts Wichtiges. Trotzdem danke, dann gehe ich jetzt auf mein Zimmer und kümmere mich um die etwas pingeligen Artefakte." Jude nickte mir kühl zu. „Viel Glück dabei."

„Danke, dir noch einen schönen Tag."
„Dir auch." So zügig, wie ich gehen konnte, ohne dass ich in Eile wirkte, verschwand ich um die nächste Ecke, wo ich mich erleichtert seufzend gegen die Wand lehnte. Ich wusste wirklich nicht, was ich von Jude halten sollte. Ich konnte sie nicht hassen, sie war meine Adoptivschwester und außerdem kannte ich sie dafür nicht gut genug, aber gleichzeitig hegte ich irgendwie eine gewisse Abneigung gegen sie. Das lag nicht mal daran, dass sie ein Mensch war oder dass Cardan sie mochte. Es war einfach irgendwas an ihr, das mich...aufregte. Kopfschüttelnd wollte ich weitergehen und machte einen erschrockenen Satz nach hinten. „Meine Güte, erschreck mich doch nicht so!"

„Verzeihung. Aber gut, dass ich dich treffe. Ich hab dich gesucht." Ich sah Pandora mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Jude meinte gerade, du wärst den ganzen Tag weg."

„Ich bin für fünf Minuten abkommandiert worden, weil Cardan wollte, dass du den hier bekommst. Und bevor du mich fragst, ich weiß nicht, was da drin ist." Sie drückte mir einen Briefumschlag in die Hand. Ich stand kurz davor, die Augen zu verdrehen. Wenn er schon die Zeit hatte, eine Nachricht zu schreiben, dann konnte er mir auch gleich sagen, was er von mir wollte. Wobei, wenn ich darüber nachdachte, war es doch besser, wenn ich ihn nicht noch öfter sehen musste als nötig. Am Ende wuchs dieses komische Gefühl noch mehr. „Äh...danke. Dann sehen wir uns morgen?", hakte ich mit schiefgelegtem Kopf nach. Pandora nickte, ehe sie in die Richtung verschwand, aus der ich gerade gekommen war.

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