Kapitel 9 ~ Faltermädchen

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Cardans Sicht:

Sichtlich verärgert knirschte ich mit den Zähnen und fuhr mir durch die Haare. Die Zacken der Krone stachen schmerzhaft in meine Finger, was mich wieder etwas aufweckte. Im dämmrigen Licht der Kerzen konnte man kaum etwas erkennen. Ich war müde, es war spät und ich wäre normalerweise um diese Uhrzeit niemals mehr über einem Buch gesessen. Aber nun tat ich es, ohne selbst zu wissen, warum. Seit wann setzte ich – Cardan Greenbriar, sowas wie die persöniche Marionette des Hofes - mich bitte mitten in der Nacht freiwillig in die Bibliothek und wälzte alte Bücher? Ich fragte mich, was Vater wohl dazu gesagt hätte. Vermutlich wäre es ihm egal gewesen. Ich musste ein lautstarkes Gähnen unterdrücken, ehe ich meine Augen wieder auf das staubige Pergament auf dem Schreibtisch richtete. Dies klang einfacher als es war, da ich aufgrund des schummrigen Lichts kaum etwas erkennen konnte, trotz meine Elfenaugen. Alte Schriften...wofür brauchte man die überhaupt? Bestimmt seit zwei Stunden hockte ich nun schon hier, schlief fast alle drei Minuten ein und hatte so gut wie nichts wissenswertes gefunden. Normalerweise hätte ich das nur gemacht, wenn man mich dazu zwingen würde und doch...tja, doch war ich hier. Ich war niemand, der nur rumsaß und Texte las, auch, wenn das keiner verstehen wollte. Das hier war nicht mein Ding. König sein war nicht mein Ding. Mit einem Seufzer nahm ich die Feder wieder in die Hand und schrieb an meinen Notizen weiter. Schwarze Tiefseerubine...sehr gefährlich und selten...

Nach ein paar Sekunden gab ich es wieder auf. Das brachte doch alles nichts. Wozu hatte ich das nötig? Ich sollte schlafen oder es zumindest versuchen. Dann wäre ich vielleicht nicht immer genau in den Momenten übermüdet, in denen ich es nicht brauchen konnte. Oder ich könnte...

Ein Rascheln unterbrach meine Gedanken. Es hörte sich an, als würden Finger über Papier gleiten. Mein Kopf zuckte nach oben. Wer war so bescheuert und ging mitten in der Nacht in die Bibliothek? „Wer ist da?", fragte ich in die Dunkelheit hinein, ohne eine Antwort zu erhalten. Kopfschüttelnd nahm ich den Kerzenleuchter und stand auf. Langsam ging ich in die Richtung des Geräusches und war mehr als nur erstaunt, als ich feststellte, wer die Quelle des Geräusches war. „Crystal? Was zur Hölle machst du hier?" Keine Reaktion. Sie war barfuß und trug nichts weiter als ein blassviolettes Nachthemd. Ihre Haare waren offen und so wirr wie ich sie noch nie gesehen hatte. Zu meiner eigenen Verwirrung wurde ich ein bisschen rot. „Crystal."

Weiterhin glitten ihre blassen Finger wie Morgennebel über die verschiedenen Untergründe. Holz, Papier, Leder, Papier, Glas, Pergament, Holz. Es wirkte, als wäre sie gar nicht da. Sicher, sie war manchmal abwesend, aber nie so sehr. Ich ging näher an sie heran und schnipste mit dem Finger neben ihrem Ohr. „Elfenheim an Crystal, kannst du mich hören?" Sie zeigte keinerlei Anzeichen, dass sie mich bemerkte, sie blinzelte nicht einmal. Ihre Augen waren geöffenet, doch ihr Blick blieb verhangen und leer. Aber nicht auf die Art, die ich schon von ihr kannte, sondern auf eine sanftere, weniger erzwungene Art. Es war, als hätte sie sich selbst in eine Trance aus Frieden versetzt. „Crystal, rede mit mir, das ist unheimlich." Ich griff nach ihrem Arm, schüttelte sie leicht. Augenblicklich hatte ich das Gefühl, als würde ein Stromschlag durch meinen Körper jagen. Doch immerhin. Sie blinzelte endlich. Der Dunst in ihren Augen lichtete sich jäh. Ich ließ sie sicherheitshalber wieder los. Langsam sah Crystal sich um, bis ihr Blick auf mich traf. Ihr ganzer Körper erstarrte, alle Anspannung schoss wieder in sie zurück. „Was ist passiert?" Ihre Stimme bebte. Ob vor Verwirrung, Angst oder unterdrückter Wut konnte ich nicht sagen,.

„Frag das nicht mich, sondern dich. Du warst plötzlich hier. Hast auf nix reagiert, nicht auf Ansprechen, nicht auf Schnipsen, auf gar nichts. Bis ich dich schütteln musste." Sie sah nicht sonderlich überrascht aus. „Das passiert, wenn ich schlafwandele. Man soll Schlafwandelnde nicht anfassen, wusstest Ihr das nicht? Hoffentlich habe ich niemanden erschreckt."

ElfenkussWhere stories live. Discover now