Kapitel 24 ~ Der Turm des Vergessens

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Eine Woche. Seit einer Woche war Cardan nun schon bewusstlos und wir warteten auf die Ergebnisse wegen dem Gift. Jude hatte inzwischen alle seine Aufgaben übernommen, die sie übernehmen konnte. Aber viel bekam ich davon nicht mit. Denn so war es automatisch meine Pflicht geworden, Cardan mit der Medizin zu versorgen, da Pandora scheinbar durchweg mit anderen Dingen beschäftigt war, über die wir nicht sprechen konnten. Wenn wir uns gesehen hatten, war ihr meistens gerade genug Zeit geblieben, um mir eine neue Falsche mit Heilmittel in die Hand zu drücken und auf meinen fragenden Blick betrübt den Kopf zu schütteln. Ähnlich wie ich sah auch sie nun müder und deutlich abgekämpfter aus, als würde sie Tag und Nacht durcharbeiten. Manchmal, wenn ich doch mal Cardans Gemächer verließ, um etwas zu holen, konnte ich die Diener flüstern hören. Elfenheim hatte Angst. Für sie waren Cardan und Balekin die letzten Erben. Wenn Cardan nun aufgrund des Giftes starb...ich wollte mir gar nicht vorstellen, was dann passieren würde.

Wann immer ich Jude oder Daira sah, fragte ich eine der Beiden, ob bereits bekannt war, wer dafür verantwortlich war, aber wie sonst auch bekam ich auch nur ein Kopfschütteln als Antwort. Ich hatte an Vater gedacht, doch das ergab keinen Sinn. Sollte Cardan sterben, würde nur Balekin Oak noch krönen können und das würde er mit Sicherheit nicht tun. Also fiel er raus. Was nicht hieß, dass es nicht noch genug Auswahlmöglichkeiten gäbe. Doch um herauszufinden, wer nun wirklich hinter dem Anschlag steckte, mussten wir herausfinden, woraus das Gift bestand, denn dadurch konnte man dann versuchen, in Erfahrung zu bringen, woher die Gifte stammten und das wiederrum würde womöglich zum Täter führen. Schwierig, aber nicht unmöglich. Zumindest hoffte ich das.


Ich hatte mir angewöhnt, den Großteil der Zeit auf einem Stuhl neben Cardans Bett zu verbringen. Ich hätte auch neben ihm auf dem Bett sitzen können, aber ich hatte Sorge, dass jemand Gerüchte darüber in die Welt setzen würde und es wäre mir lieber gewesen, noch einmal mit Cardan über die ganze Sache zu reden, ohne auch noch Gerüchte abschaffen zu müssen. So hockte ich auch jetzt in diesem Moment auf der Kante des viel zu harten Stuhls mit der unbequemen Lehne und den ungleichen Beinen. Inzwischen war ich sogar daran gewöhnt, auf dem Ding zu schlafen, auch wenn das eher unfreiwillig war. Doch leider holte mich der Wunsch nach Schlaf immer wieder ein, obwohl hin und wieder jemand meinen Platz einnahm, damit ich zumindest für ein paar Stunden schlafen konnte. Unter uns gesagt, das waren die einzigen Stunden, in denen ich hellwach wurde und vor lauter Besorgnis nicht schlafen konnte. Das würde auch erklären, warum mir immer wieder die Augen zufielen und mich eine der Wachen hin und wieder wachrütteln musste, wenn es Zeit für die Medizin war. Dieses Mal aber war es etwas, oder besser gesagt jemand, anderes.

Ich sah blinzelnd hoch, als ich Holz knarren hörte. Nicasia saß auf Cardans Bett und sah auf ihn herab, ohne auf mich zu achten. Sie war bis jetzt nicht aufgetaucht, was mich schon gewundert hatte. Ähnlich wie ich waren auch ihr die Spruen von Angst anzusehen. Ihr Haar war unordentlich hochgesteckt, keine einzige Perle darin, ihre Augen waren trüb wie altes Regenwasser und ihre Bewegungen waren fahriger. Ich fragte mich, ob wir uns gerade ähnelten, konnte aber nicht weiter darüber nachdenken, da sie nun den Blick hob. Sie funkelte mich so kalt an, als wäre ich selbst dafür verantwortlich, was hier gerade geschah. Nun konnte ich Nicasia ja wirklich nicht sehr gut leiden und war auch daran gewöhnt, von ihr so angesehen zu werden, aber ich hatte gedacht, dass wir zumindest für Cardan diese Streitereien beiseitelegen konnten. Dementsprechend überging ich ihre offensichtliche Wut auf mich, warum auch immer sie wütend auf mich war, und fragte leise: „Wie geht es dir?"

„Wie soll es mir schon gehen?", knurrte sie spitz zurück, „Furchtbar geht es mir, was denn sonst?" Ich seufzte innerlich, blieb aber weiterhin ruhig und gefasst. Ich hatte längst nicht mehr die Kraft, mich aufzuregen, bei ihr erst recht nicht. „Entschuldige. Ich meinte abgesehen davon." Immerhin würde in Nicasias Leben ja noch mehr passieren, schließlich war sie die Prinzessin der Tiefsee. Sie presste die Lippen zusammen und sah mich nicht mehr an. Ich ging daher einfach mal davon aus, dass sie nicht darüber reden wollte. Oder zumindest nicht mit mir. Also schwiegen wir wieder. Zwar war ich schon an Schweigen gewöhnt, was Sinn ergab, wenn man bedachte, wie lange ich schon hier war und wie wenig ich in dieser Zeit gesprochen hatte, aber Nicasia hatte scheinbar etwas auf dem Herzen, was sie loswerden wolle. Auch, wenn es ihr missfiel, das mir gegenüber deutlich zu machen. „Weißt du, wann er wieder aufwacht?"

ElfenkussWhere stories live. Discover now