Blood

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Ich starrte wie gebannt in das Gesicht des Unbekannten, der immer noch diesen Ansatz eines Lächelns zeigte, bei dem sich nur sein rechter Mundwinkel leicht nach oben zog. Seine Augen waren von einem so klaren Blau wie ein Ozean an seinem besten Tag, während die Iris von einem Tiefschwarz umrahmt wurde. Aber es waren weder die Augen noch sein Mund, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, sondern sein Auftreten, diese unheimliche Ruhe, die er ausstrahlte, auch seine Körpersprache verriet kein bisschen Anspannung.

„Du solltest es mir geben. Wir wollen doch nicht, dass Du aus Versehen etwas Dummes tust. „Ich hatte nicht bemerkt, wie er sich mir genähert hatte und nun seine Hand zu meinem Handy streckte, das sich immer noch in meiner mittlerweile zitternden Hand, befand. Er wollte gerade danach greifen, als ich meine Hand nach hinten zog: „Nein!" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch er hatte es gehört, denn seine Augen wurden eine Spur dunkler. „Nein?" Er legte seinen Kopf leicht schief und sah mich zum ersten Mal direkt an. Er war noch ziemlich jung, vielleicht Mitte bis Ende 20. „Warum willst du es mir denn nicht geben?" Nun lächelte er leicht und kam einen Schritt auf mich zu. „Du musst keine Angst haben". Seine Stimme hatte einen warmen Klang, aber sein Lächeln erreichte seine Augen nicht, die immer noch eine Spur zu dunkel schienen. „Ich...", setzte ich an, doch meine Stimme versagte.

Hinter mir erklang das Scharen eines Schuhs auf dem Boden und als ich mich danach umdrehte, versuchte der Verletzte gerade, mit letzter Kraft davon zu kriechen. Der Schein der Straßenlaterne erfasste sein Gesicht und ich keuchte erschrocken auf: Es war noch viel schlimmer, als ich auf den ersten Blick erahnen konnte - sein halbes Gesicht lag in Fetzen, Blut triefte aus seinem Mund und der Nase, am Hinterkopf hatte er eine Wunde, die aussah, als ob ihm jemand einen stumpfen Gegenstand über den Kopf gezogen hätte. „Sieht übel aus, hm?" Der plötzlich Klang seiner Stimme lies mich zusammenzucken, denn der Anblick des Schwerverletzten hatte mich derart schockiert, dass ich die Anwesenheit des Blauäugigen beinahe verdrängt hätte. „Ich denke, er braucht Hilfe, denkst du nicht auch?" Er durchbohrte mich wieder mit diesem durchdringenden Blick und erwartete eine Antwort. Natürlich mussten wir ihm helfen, das wollte ich schon die ganze Zeit tun, also nickte ich heftig mit dem Kopf. „Dann gib mir endlich dein Handy, damit wir jemanden anrufen können!" Nun wirkte er ungehalten. „Oh... Ja...Natürlich. Entschuldigung. " Ich war so mit mir selbst beschäftigt gewesen, da ich die ganze Zeit dachte, er wollte mir das Handy aus Boshaftigkeit wegnehmen, obwohl er natürlich nur dem verletzten Mann helfen wollte. Innerlich schlug ich mich selbst dafür, so dumm gewesen zu sein, und gab ihm eilig mein Telefon.

Der Mann am Boden stöhnte auf. Als ich mich ihm zuwendete, sah er mir schmerzerfüllt in die Augen und versuchte etwas zu sagen. „Shh... Hilfe ist unterwegs!" Da ich mich noch nie zuvor in einer derartigen Situation befunden hatte, wusste ich nicht genau, was ich ihm sagen sollte, um ihn zu beruhigen. „Sie müssen ruhig liegen bleiben, es wird gleich jemand kommen". Wie zu Bestätigung sah ich nach hinten, um dem Kerl mit meinem Handy zu signalisieren, er solle gefälligst schneller machen. Doch er stand genau an derselben Stelle wie gerade eben, mein Handy in der Hand und schaute entspannt zu mir. Panik erfasste mich - scheiße, was tat er denn da? Ich lief zu ihm und wollte mir mein Telefon schnappen, doch er packte nur grob mein Handgelenk, weswegen ich ihn fassungslos anblickte. „Was soll das? Wir müssen ihm helfen! Er verblutet noch!" Bei meinen letzten Worten nahm meine Stimme eine fast schon schrille Tonlage an. Ich verstand nicht, wieso er nichts tat außer passiv in der Gegend herumzustehen. Während mein immer noch in seinem festen Klammergriff gefangenes Handgelenk zu schmerzen begann, sah er mir in die Augen, in denen sich meine stetig größer werdende Panik abzeichnen musste. „Bitte..." Ein letzter verzweifelter Versuch, ihn doch noch dazu zu bringen, endlich aktiv zu werden. Schließlich schien er begriffen zu haben, dass er etwas tun musste; sein Blick wurde weicher und er sprach leise: „Das werden wir, Kleine. Wir werden ihm helfen."

Mit diesen Worten warf er mein Handy auf den Boden, zerbrach es mit dem Fuß und stieß mich unsanft von ihm. Völlig überrumpelt taumelte ich einige Schritte nach hinten, um mit weit aufgerissenen Augen zu beobachten, wie er schnellen Schrittes auf den Mann am Boden zuging, ein Messer zückte und seinem wehrlosen Opfer mit einem gezielten Schnitt eiskalt die Kehle aufriss. Ein erstickter Schrei brach aus mir hervor, völlig erstarrt glitt mein Blick ein letztes Mal über diesen irren Mörder, dessen Anblick sich für immer in meinem Gedächtnis verankern würde. Als der Wahnsinnige sich zu mir drehte, spiegelte sein Gesicht die pure Freude wieder; er strahlte von einem Ohr zum anderen, während überall Blut an ihm klebte. Seine Worte waren die letzten, die ich hörte, bevor mich die absolute Dunkelheit heimsuchte und ich ohnmächtig auf dem nassen Boden zusammensackte: „Siehst du, Kleine, wir haben ihm geholfen."

Dunkles Verlangen [✔️] Where stories live. Discover now