Su

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Ich hatte mir das nächstbeste Taxi geschnappt und ließ mich nachhause fahren. Dort angekommen wollte ich nichts dringender, als eine warme Dusche nehmen, also schmiss ich mir die Klamotten vom Leib und nahm mir vor, sie bei der nächstbesten Gelegenheit zu verbrennen. Nie wieder wollte ich an diese Nacht und den Tag darauf denken.

Wie erwartet, beruhigte mich die Dusche: Ich genoss das warme Wasser auf meiner Haut und schrubbte mich dann sauber, wodurch meine Haut zu brennen anfing, da ich den Schwamm wirklich etwas zu fest aufgedrückt hatte. Ich seufzte resigniert und ließ mich an der kalten Duschwand hinabgleiten. Wie konnte mein ganzes Leben in nur einer Nacht den Bach runtergehen? Ich sollte zur Polizei gehen und ihnen alles erzählen, nur war ich nicht sicher, ob sie mir glauben würden, am Ende wäre ich noch ein Mittäter oder gar Schlimmeres. Am wahrscheinlichsten war jedoch, dass es keine Spur mehr geben würde: Die Präzision und Emotionslosigkeit, die Nick an den Tag gelegt hatte, als er dem Mann das Leben nahm, ließen darauf schließen, dass es nicht sein erster Mord war; außerdem war die Leich bestimmt schon irgendwo vergraben worden.

Frustriert stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab und stieg in meinen gemütlichen Schlafanzug. Er war pink mit vielen bunten Blumen darauf. Ich weiß, mit zwanzig Jahren sollte man langsam zu alt für so etwas sein, aber ich fühlte mich einfach wohl darin und zuhause sah mich sowieso niemand. Ich schnappte mir meine Wolldecke, ließ mich auf meine kleine Couch fallen und zappte lustlos durch das Programm. „Bei How I Met Your Mother“ blieb ich, das war immer eine gute Wahl. Nach einigen Minuten klingelte es an der Tür, ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass es schon 21.30 Uhr war. Wer kommt denn bitte so spät vorbei? Ich wickelte mich in meine Decke und ging zur Tür. Als ich gerade durch den Türspion sehen wollte, hörte ich schon die aufgeregt Stimme meiner besten Freundin: "Mia!“ Ich weiß, dass du da bist! Also mach die scheiß Tür auf!" Grinsend öffnete ich die Tür und nahm meine beste und einzige Freundin in die Arme. "Du hättest auch anrufen können, Su“, murmelte ich in ihre Halsbeuge. Sie packte mich an den Schultern und hielt mich auf einer Armlänge Abstand, um mich wütend anzusehen. "Wenn Madame ihr Handy nicht ausgeschalten hätte, wüsste sie vielleicht, dass ich bestimmt schon vierzig Mal angerufen habe…" Empört sieht Su mir in die Augen und runzelt dabei ihre Stirn. Oh Mist… Ich hatte total verdrängt, dass Mr. Mörder ja mein Handy zerstört hatte. Obwohl ich nicht ganz verstand, warum er bei einer schrecklichen Sache wie kaltblütigem Mord keinerlei Emotionen zeigte, aber ein schlechtes Gewissen wegen einem kaputten Handy bekam. Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern "Sorry, mein Tag war echt beschissen und mein Handy hat einen Totalschaden."

Meine beste Freundin betrachtet mich mit einem Blick, der wohl signalisieren sollte 'Nichts, was man nicht wieder hin biegen kann' und machte sich auf den Weg in meine kleine Küche. "Da hilft nur ein heißer Kakao." Sie lächelte mich an: „Mach es dir auf dem Sofa bequem, bin gleich da und dann erzählst du mir alles!"

Fünf Minuten später saßen wir beide dann auf meiner kleinen Couch und ich erzählte Su alles, naja, nicht wirklich alles. Ich ließ den toten Mann weg und erzählte, dass ich in der Gasse ohnmächtig wurde, wobei mein Handy zu Bruch ging, dass ich in einem fremden Haus aufgewacht bin und Todesangst hatte. Von Nick und seinem Bruder, der blonden Frau und der seltsamen Geste mit dem neuem Telefon. Warum ich ihr nicht die ganze Geschichte erzählte, wusste ich selbst nicht. Vielleicht saß der Schock noch zu tief oder eine leise Stimme in meinem Unterbewusstsein meldete sich zu Wort oder du willst einfach nicht wahrhaben, dass Nick ein schlechter Mensch ist, sondern würdest gerne glauben, dass er dein Leben gerettet hat und es nur gut meinte. Vielleicht hätte der Mann nie eine Chance gehabt und Nick hat ihm unnötiges Leid erspart. So schnell wie dieser Gedanke gekommen war, verwarf ich ihn wieder. Das war lächerlich! Ich würde nie einen Mörder in Schutz nehmen.

Ein paar Heulkrämpfe und zwei Tassen heißer Schokolade später war es kurz vor Mitternacht. Su musste morgen früh raus und verabschiedete sich deshalb. Sie war eine tolle Freundin und immer für mich da. Wir kannten uns seit dem Kindergarten und seit meine Eltern vor drei Jahren gestorben waren ist sie wie eine große Schwester für mich gewesen. Wir tauschten noch unsere Handynummern aus, damit wir wieder wie gewohnt schreiben und telefonieren konnten.

Kurz vor ein Uhr ging ich dann schließlich auch in mein Bett, wo ich mir vornahm, mich für die nächsten Tage krank zu melden. Ich dachte ich sollte erst einmal wieder runter kommen, bevor ich meinen normalen Alltag wieder in Angriff nehmen konnte. Kurz vor dem Einschlafen vibrierte jedoch auf einmal mein Handy. Mit zusammengekniffenen Augen öffnete ich die Textnachricht auf dem grellen Display:

„Schlaf gut, Liebes. – N“

Dunkles Verlangen [✔️] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt