Gespräch Nr. 1

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Unschlüssig was ich nun machen sollte trat ich von einem Bein auf das andere. Den Blick auf die weiße Tür vor mir geheftet überlegte ich fieberhaft ob ich nun klopfen sollte oder mich auf den Stuhl, der neben der Tür stand setzten sollte.
Zimmer Nummer 24, das war schonmal richtig.
Allerdings waren es noch gute fünf Minuten bis 15 Uhr und vielleicht hatte die Ärztin noch ein Gespräch bei dem ich nicht stören wollte. Hiervon hing einfach zu viel ab und ich wollte nicht schon im Vorfeld einen Fehler begehen.
Kurz setzte ich mich auf den Stuhl, sprang aber nach einer Minute nervös wieder auf.
Ich musste mich endlich beruhigen. Schon seitdem Dr. Stein vor ein paar Stunden mein Zimmer verlassen hatte war ich das reinste Nerven Bündel, sogar das Mittagessen hatte ich ausfallen lassen. Dies lag zwar nicht nur meiner Nervosität, sondern auch daran, dass ich den Vorfall von heute morgen ungern wiederholen wollte aber auch das bevorstehende Gespräch hatte seinen Teil dazu beigetragen.

Ich atmete noch einmal tief durch und Klopfte dann zaghaft an. Gerade als ich noch einmal klopfen wollte, weil ich dachte es wäre zu leise gewesen, ertönte die Stimme von Dr. Stein: „Ja bitte! "

Zögerlich betrat ich das Zimmer der Ärztin. Diese saß hinter einem gigantischem Glasschreibtisch und lächelte mich freundlich an. Kurz blieb ich stehen und ließ meinen Blick unauffällig durch den Raum schweifen.
Es war anders als ich es mir vorgestellt hatte. Es gab hier kein gemütliches Sofa, wie ich es aus dem Fernsehen kannte und auf dem die Patienten immer Platz nahmen oder sich hinlegen sollten. Die Wände waren voll mit bunten Bildern und neben dem großen Fenster hatte eine Miniatur Palme ihren Platz gefunden.
Alles in allem wirkte dieses Sprechzimmer eher gemütlich als steril und vermittelte den Eindruck, dass es leicht wäre sich hier wohl zu fühlen und sich zu öffnen.

Letzteres würde leicht werden, schließlich hatte ich vor mich zu öffnen und ihr die ganze Geschichte zu erzählen ohne sie zu verschönern oder etwas zu verschweigen.
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich hier nur heraus kommen würde wenn ich ehrlich war und den Mitarbeitern hier mein Vertrauen schenkte.
Dr. Stein lud mich mit einer Handbewegung, die sehr geübt aussah, ein, vor ihr auf dem Stuhl Platz zu nehmen und diese Einladung nahm ich mit leichtem Lächeln dankbar an.

„Wie geht es Ihnen heute?"
Die Ärztin verschränkte ihre Finger miteinander und ließ sich in ihrem Stuhl leicht nach hinten sinken, ihre erst wirkenden, wachsamen Augen hatte sie dabei auf mich gerichtet.
„Gut Dan.. Also, ganz gut.. den Umständen entsprechend gut.. würde ich sagen.. also.. ", brabbelte ich vor mir hin und stockte dann entnervt. Kurz räusperte ich mich und sah die Frau vor mir etwas verunsichert an. „Mir geht es ganz gut danke.." schaffte ich es schlussendlich doch noch mein angefangenes gestotter zu beenden. Möglicherweise würde sich dieses Gespräch als schwieriger herausstellen als zu Anfang gedacht.

„Sie müssen wirklich nicht nervös sein. Das hier ist als erst Gespräch angedacht gewesen. Ganz ungezwungen. Sie lernen mich etwas kennen und ich bekomme einen ersten Eindruck von ihnen Miss Jones."
Aufmunternd lächelt mich die Frau mit den roten Locken an. Ein schiefes Lächeln, das sich eher wie eine Grimasse anfühlte bedeckte mein Gesicht und ich begann mich etwas zu entspannen.

„Sie haben schon erste Kontakte geknüpft wie ich gehört habe? Das freut mich, es ist leichter mit all dem hier fertig zu werden und sich einzugewöhnen wenn man nicht allein ist und Freunde an seiner Seite hat."

Ich runzelte meine Stirn. Ob man diese Leute wirklich als Freunde bezeichnen konnte, wagte ich schwer zu bezweiflen. Die eine drängte sich auf und die anderen beiden waren die typischen Mitläufer die einfach immer dabei waren und wie Kaugummi an der Schuhsohle haften blieben. Dennoch nickte ich zögerlich. Es würde nicht schaden wenn die Ärzte das Gefühl hatten, es wäre mir wichtig mit anderen in Kontakt zu stehen.

„Sehr schön! Glauben Sie mir, ihr Aufenthalt in dieser Einrichtung wird Ihnen gut tun. Wir sind darauf spezialisiert, Leuten wie Ihnen zu helfen."

„Leuten wie mir?!"

„Ich habe mich vielleicht etwas ungünstig ausgedrückt, damit wollte ich ihnen nur sagen, dass sie nicht die einzige mit dieser Diagnose sind und wir ihnen hier sehr gut helfen können."

„Interessant.. Bis jetzt wusste ich garnichts von einer 'Diagnose'.", schnaubte ich verächtlich „ was genau habe ich denn? Und wieso bilden sich irgendwelche Menschen ein, mich beurteilen zu können, obwohl sich bisher niemand die Mühe gemacht hat mir mir zu sprechen?"

„Beruhigen Sie sich bitte Miss Jones!"

„Ich bin ruhig!"

„Nun, Sie wirken aufgebracht. Wir können gern eine Pause machen wenn es Ihnen zu viel wird."

„Danke aber ich benötige keine Pause.", brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.„Ich wüsste nur wirklich gerne wieso man mich hier her gebracht hat und wieso niemand Interesse an meiner Version der Geschichte zu haben scheint."
Ich hatte Mühe mich zu beherrschen und ich war mir sicher, dass das auch den wachsamen Augen der Ärztin nicht entgangen war.
Interessiert sah die Frau mich an und lächelte milde.
„Dafür sind wir hier. Ich höre ihnen zu und sie dürfen offen mit mir sprechen. All das werden wir in den kommenden Sitzungen besprechen. Wir werden alle Fragen die Sie haben beantworten und ich werde auch offen mit Ihnen sprechen. Allerdings habe ich auch eine kleine Bitte an Sie! "

„Und die wäre?"

„Nehmen Sie bitte die Medikamente die Ihnen die Schwestern geben. Ich weiß es muss verwirrend sein, aber ich versichere Ihnen, das diese Ihnen weder schaden werden noch einen anderen unerwünschten Effekt herbeirufen. Es ist einfach wichtig für Ihre Psyche, erst einmal stabil zu werden. Sie haben viel durchgemacht, so etwas steckt niemand einfach so weg."

Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal das die Schwestern gemerkt hatten, dass ich den Medikamenten-Müll den sie mir verabreichten, nicht zu mir nahm. Ich nahm die Pillen zwar in den Mund aber sobald die Schwester den Raum verlassen hatte spülte ich diese sofort die Toilette hinunter. Wieso sollte ich auch etwas nehmen, von dem ich nicht wusste was es war und warum ich es nehmen sollte. Ein Zombie, so wie viele der anderen hier, wollte ich wirklich nicht werden. Abgestumpft und halb tot, nein danke!

„und was genau soll ich da nehmen..?"

„es ist nur ein stabilisierer. Wirklich nicht schädlich und nur dafür verantwortlich ihre Stimmung auszugleichen."
Meine Fragen schienen ihr nicht sonderlich zu gefallen, denn sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und warf mir einen kühlen Blick zu, der wohl verdeutlichen sollte wer von uns beiden am längeren Hebel saß.

„Also.. Entweder ich nehme die Pillen oder ich bekomme keine Antworten? Interessantes Prinzip", stellte ich sarkastisch fest und schnalzte mit der Zunge.

„So drastisch würde ich es nicht ausdrücken. Ich sehe es eher als ein quid pro quo. Aber im Prinzip haben sie Recht ja."

Naja, immerhin war sie ehrlich. Kurz dachte ich über diese eigentlich fiese Erpressung nach, entschied mich aber dann für ihre Lösung. Wiedersetzen hatte mich bisher ja nicht wirklich an mein Ziel gebracht also nickte ich nur stumm.
„Wunderbar. Dann machen wir für heute einen Cut und sehen uns in zwei Tagen um die gleiche Uhrzeit wieder hier. Ich bin schon sehr gespannt auf Ihre Sicht der Dinge. Integrieren Sie sich weiterhin so gut und fassen Sie ruhig Vertrauen zu Menschen, sie werden sehen, viele sind wirklich nett."
Dann stand die Dame auf und öffnete die Tür. Viel Stoff zum Nachdenken hatte sie mir ja gegeben, also lächelte ich kurz und drückte ihre Hand bevor ich den Raum verließ. Auf dem Weg zu meinem Zimmer schüttelte ich verwirrt den Kopf. Nur Ärzte schafften es einen mit mehr Fragen als Antworten zurück zu lassen als zuvor.
Nur mit einem hatte sie absolut daneben gelegen. Menschen, egal wie für gut sie sich auch selbst halten mochten, war nicht zutrauen. Gab man ihnen den kleinen Finger so nahmen sie die ganze Hand. Nur eines war sicher, man konnte nur sich selbst trauen und das war auch nicht falsch.

In meinem Zimmer angekommen holte ich Zettel und Stift und notierte mir die wichtigsten Punkte die ich bei meinem nächsten Gespräch ansprechen wollte. Ganz oben notierte ich :

Diagnose?

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