Vertrau mir

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Nick nahm mir den Putzeimer und den Lappen aus der Hand und ging, als wäre es selbstverständlich, durch meine immer noch geöffnete Wohnungstür. Ich starrte ihm fassungslos hinterher. Das kann doch jetzt nicht sein ernst sein? Das war meine Wohnung! Und was hatte er hier überhaupt verloren?! Mein Kampfgeist war erwacht, der konnte was erleben! Ich rappelte mich hoch und lief ihm hinterher.

Der Eindringling hatte sich vor meinem Kühlschrank aufgebaut und studierte seelenruhig den Inhalt. Mit verschränkten Armen stellte ich mich direkt hinter ihn und räusperte mich geräuschvoll. "Was willst du hier? Das ist meine Wohnung und ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu haben." Okay, Mia, das war vielleicht etwas zu forsch. Nick schloss die Kühlschranktüren wieder und murmelte mehr zu sich selbst als zu mir: "Du solltest dich gesünder ernähren, zu viel Fast Food ist ungesund." Jetzt wollte er mir also auch noch Ernährungstipps geben?

Langsam riss mein Geduldsfaden. "Was willst du hier?" Bedrohlich langsam drehte Nick sich zu mir um. Sein Kiefer war fest aufeinander gepresst, als er zu sprechen begann: "Ich mag es überhaupt nicht, wenn du so mit mir sprichst, Kleine." Mit jedem Wort kam er einen Schritt näher auf mich zu. Als er mir direkt gegenüber stand, packte er mein Handgelenk, um mich mit einem Ruck zu sich zu ziehen. Er drehte uns beide um, sodass mein Rücken Bekanntschaft mit dem Kühlschrank machte. Erschrocken keuchte ich auf. Seine Arme legte Nick links und rechts von meinem Kopf ab, während sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war.

Seine Augen sprühten Funken und nahmen einen fast schwarzen Ton an; er schien sich offenbar nur mit Mühe zurückhalten zu können. Dieser Verrückte wirkte genauso bedrohlich wie an dem Abend, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. "Und außerdem mag ich es überhaupt nicht, ignoriert zu werden!" Die letzten Worte spuckte er mir regelrecht entgegen. "Wenn ich dich anrufe, hast du gefälligst ran zu gehen! Wenn ich dir schreibe, erwarte ich unverzüglich eine Antwort!"

Er umfasste mein Gesicht mit einer Hand und zwang mich so ihn anzusehen. "Hast du verstanden?" "Ja." Ich blickte in sein Gesicht, das nach meiner Antwort sichtlich weicher geworden war. Er schloss für einen kurzen Moment seine Augen und legte seine Stirn an meine. Jetzt war Nick mir so unglaublich nah, dass ich einen Duft von Mandeln und teurem Parfüm wahrnehmen konnte. Ich mochte, wie er roch. Als er nach wenigen Augenblicken seine Augen wieder öffnete, hatten sie wieder eine klare blaue Farbe angenommen. Mit seiner Hand streichelte er sanft meine Wange. "Du weißt, ich würde dich niemals absichtlich verletzten, oder?" Es war eine rhetorische Frage, auf die er keine Antwort erwartete, dennoch nickte ich leicht. Seine Hand wanderte zu meinen langen Haaren, die er langsam durch seine Finger gleiten ließ, was eine sehr beruhigende Wirkung auf mich hatte. Ob er sich oder mich damit beruhigen wollte, wusste ich nicht. Doch seine Berührung entspannte mich. Ich wollte ihn auch anfassen und legte daher vorsichtig meine Hand auf seine Brust, wobei ich ihm tief in die Augen blickte. Ich wollte ihn nicht wütend machen oder verärgern. Sein Gesichtsausdruck war immer noch entspannt, während er geistesabwesend weiter mit meinen Haaren spielte.
Meine Gedanken huschten zu meinem Traum von heute Nacht und ich musste daran denken, wie gut es sich angefühlt hatte. Plötzlich lag seine Hand auf meiner, er zog sie allerdings langsam von seiner Brust weg und lächelte mich leicht an: "Das ist keine gute Idee, Liebes." Er trat einen Schritt zurück. Und obwohl ich wusste, dass es so das Beste für uns beide war, überkam mich ein tiefes Gefühl der Enttäuschung.

"Ich.." Er überging meinen angefangenen Satz, von dem ich selbst nicht wusste, wie er eigentlich enden wollte, und sah sich neugierig in meiner Wohnung um.

Ich lebte noch nicht sehr lange hier. Nach dem Tod meiner Eltern blieb ich lange Zeit in unserem alten Haus und versuchte so den Schmerz und die Trauer zu verarbeiten. Nach ein paar Jahren allerdings wurde es mir zu viel: Mein Geld wurde knapp und die Instandhaltung eines großen Hauses mit Garten überforderte mich. Schweren Herzens verkaufte ich mein Heim daher an ein junges, frisch verheiratetes Paar. Mit dem Geld konnte ich mir diese Wohnung im dritten Stock leisten, wo ich mich das erste Mal seit Jahren wieder frei und erleichtert fühlte.

Das ist jetzt drei Monate her. Mittlerweile hatte ich mich hier gut eingelebt und liebte meine Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie hatte ein kleines Schlafzimmer und ein Bad, in dem eine Dusche sowie eine Badewanne Platz fanden. Mein Wohnzimmer war klein, aber es bot genügend Platz für ein Sofa und ein Bücherregal, in dem all meine Lieblinge ihren Platz fanden. Direkt daneben befand sich meine offene Küche, die aufgrund meiner tiefen Abneigung gegen das Kochen allerdings nur das Nötigste beinhaltete.

Jetzt allerdings, nachdem Nick meine Wohnung so unter die Lupe genommen hatte, fühlte es sich irgendwie erbärmlich an. Ich hatte ja sein Haus gesehen, und da konnte meine kleine Wohnung wirklich nicht mithalten.

"Schön hast du es hier." Ein kleines Lächeln lag immer noch auf seinem Gesicht: "Wenn ich dich das nächste Mal besuchen komme, bist du vielleicht auch ein bisschen gesprächiger. Schließlich warf er mir noch einen letzten Blick zu, den ich nicht deuten konnte, und machte sich auf den Weg zu meiner Wohnungstür.

Erst als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, bemerkte ich, wie die Anspannung langsam von mir abfiel. Ich rutschte gemächlich mit dem Rücken am Kühlschrank nach unten auf den Boden, dort blieb ich einfach sitzen und atmete ein paar Mal tief durch.

Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte: In einem Moment machte er mir schreckliche Angst und im nächsten wiederum würde ich am liebsten über ihn herfallen. Nur eins wusste ich mit absoluter Bestimmtheit: Ich durfte ihm keinesfalls Vertrauen!

Ich legte meinen Kopf auf meinen Beinen ab und starrte auf die Tür, die vor ein paar Minuten erst ins Schloss gefallen war. Er wollte wieder kommen...

Dunkles Verlangen [✔️] Where stories live. Discover now