Neues Leben

17.3K 551 24
                                    

Es sollte nicht ganz unser letzter Tag sein.
Am nächsten Morgen erklärte mir Nick, dass er eine Weile weg gehen würde. Meine neuen Papiere würde ich in ein paar Tagen bekommen, den Treffpunkt und die genaue Uhrzeit hatte er mir aufgeschrieben, bezahlt wäre alles. Meine einzige Aufgabe bestand also nur darin sie abzuholen und mich in der Zwischenzeit bedeckt zu halten.
Was genau er in den nächsten Tagen zu erledigen hatte wollte er mir nicht sagen, nur das es wichtig ist.
In den frühen Morgenstunden ging er los und besorgte mir noch Wasser und etwas zu Essen für die nächsten Tage.
Danach ließ er mich allein.

Die nächsten Tage zogen sich unglaublich in die Länge, ich hatte nichts zu tun und nach draußen traute ich mich nicht.
Nur ein paar Tage und ich war weg von hier, ich wollte nichts tun was meine baldige Freiheit in Gefahr bringen konnte.
Aber die Langeweile war nicht das schlimmste, am schlimmsten war die Einsamkeit die mich an den Rand der Verzweiflung brachte.
Nick war nicht die beste Gesellschaft die man sich vorstellen konnte, aber er war da um zu reden und selbst wenn wir nicht sprachen war trotzdem jemand da.
Noch nie in meinem Leben war ich wirklich allein gewesen, viele Freunde hatte ich zwar nie gehabt aber trotzdem immer Leute um mich herum.

Meine einzige Ablenkung war ein Küchenmesser mit dem ich kleine Figuren in die Betonwand ritzte, mittlerweile war die halbe Wand voll damit. Tiere, Bäume und Pflanzen und irgendwelche Sprüche die ich irgendwo einmal aufgeschnappt hatte.
Ausserdem hatte ich mir einen Kalender an die Wand geritzt, auf diesem markierte ich jeden Tag mit einem Kreuz, damit ich den Termin für die Papiere nicht vergaß.
Das war jedoch auch ohne Kreuzchen sehr unwahrscheinlich, denn meine Gedanken kreisten nur darum.

Mittlerweile war eine Woche vergangen, sieben Tage, 168 Stunden, 10080 Minuten..
Ja, ich hatte wirklich zu viel Zeit!
Ich setzte das letzte Kreuz auf meinem provisorisch angelegtem Wandkalender und seufzte tief. Morgen war es soweit!
Morgen würde ich offiziell Amelie Jones werden und ich freute mich wahnsinnig darauf!
Zufrieden lächelnd legte ich mich in mein Deckenlager und kugelte mich zusammen und versuchte einzuschlafen.

Der nächste Tag verging im Vergleich zu den anderen ziemlich zügig. Ich putzte das kleine Badezimmer, in dem es nicht einmal fließend Wasser gab, ausgiebig. Obwohl ich wusste, dass es absolut sinnfrei war, hatte ich in den letzten Tagen damit begonnen meine 'Wohnung' zu säubern.
Alte Kanister die überall verstreut lagen hatte ich in einer Ecke zusammengestappelt. Mit einem Lappen hatte ich alle Oberflächen vom Staub befreit und mein Bett mit verschiedenen Decken ausgestattet.
Unter die Löcher in der Decke hatte ich Eimer gestellt, in denen sich jetzt genug Wasser befand. Dieses war zwar nicht trinkbar aber zum Putzen wunderbar geeignet.
Irgendwie hatte ich die Zeit ja rumbringen müssen.

Ein Blick auf die Armbanduhr, die Nick mir dagelassen hatte, sagte mir, dass ich mich langsam auf den Weg machen sollte um nicht zu spät am Treffpunkt zu erscheinen.
Die Sonne war schon untergegangen und der Mond war am Himmel zu sehen.
Schnell zog ich mir meinen schwarzen Kaputzenpulli über den Kopf und machte mich auf den Weg.
Der Treffpunkt war in einer kleiner Seitenstraße, genau die, in der wir vor einer Woche die zwei zwielichtigen Männer gesehen hatten, deshalb kannte ich den Weg.
Dort angekommen war ich allein. Panisch sah ich immer wieder auf die Uhr an meinem Handgelenk. War es der falsche Tag? Hatte Nick mir die falsche Uhrzeit genannt?
Nervös sah ich mich um, konnte aber niemanden erkennen.
15 Minuten später stand ich immer noch allein in der dunklen Gasse.
Scheiße.. Bei meinem Glück musste so etwas ja schief gehen, dachte ich frustriert und wollte mich schon auf den Rückweg machen.
Genau in diesem Moment löste sich eine dunkle Silhouette aus dem Schatten einer angrenzenden Gasse und schlenderte auf mich zu.
Ängstlich zog ich die Luft ein und hielt den Atem an. Was sollte ich jetzt tun? Auf die Person zugehen oder doch lieber stehen bleiben und abwarten?
Ich entschied mich für stehen bleiben, denn meine Beine fühlten sich an als würden sie jeden Moment zusammenkrachen.
Als die Person genau neben mir zum stehen kam hatte ich das Gefühl kurz vor einem Ohnmachtsanfall zu stehen.
„Amelie Jones? " Die tiefe Stimme verursachte eine Gänse Haut bei mir, die sich über meinen ganzen Körper zog.
Unfähig etwas zu sagen nickte ich nur und hoffte, dass das als Antwort genügen würde.
Der Mann griff in seine Manteltasche und zog einen braunen dicken Umschlag hervor den er mir hinhielt. Mit Zitternder Hand griff ich danach und stopfte ich schnell und ungeschickt in die Tasche meines Pullis.
„Danke.. "flüsterte ich in die Dunkelheit.
Denn der Mann war so schnell verschwunden wie er aufgetaucht war und hatte meine Worte sicherlich nicht mehr gehört.
Ich beeilte mich mit dem Rückweg und atmete erst wieder befreit auf, als ich die Tür der Lagerhalle hinter mir geschlossen hatte.
Oh man.. Das war anstrengender als ich dachte.

Nach einer kurzen Zeit hatte ich mich wieder etwas beruhigt und ließ mich auf mein Deckenlager fallen.
Vorsichtig öffnete ich den braunen Umschlag, um mir zum aller ersten Mal meine neue Identität anzusehen.
Breit grinsend hielt ich meinen Ausweis in der Hand. Amelie Jones! Geboren in London.
Ein kleiner Jubelschrei entfuhr mir und ich drückte das Stück Plastik an mich wie ein Baby.
Endlich, endlich, endlich!

Der Typ im Keller hatte ganze Arbeit geleistet. Es sah unglaublich echt aus.
Auch mein Reisepass Unterschied sich nicht im geringsten von den normalen.
Ich hatte den Mann unterschätzt, er war ein Profi und wusste genau was er tat.
Ich lag noch eine Weile wach und grinste wie eine Irre vor mich hin, bis ich dann irgendwann in einen erholsamen Schlaf fiel.

Mit einem sanften Rütteln wurde ich geweckt. Verschlafen rieb ich mir die Augen und entdeckte Nick der über mir gebeugt war und mich anlächelte.
„Hey.. Sorry fürs wecken ich.. "
Ich unterbrach ihn und umarmte ihn fest, ich war noch nie so froh gewesen ihn zu sehen. Die Zeit ganz allein und isoliert hatte mir gezeigt wie sehr ich mich an seine Anwesenheit gewöhnt hatte.
„Hey." grinste ich nachdem ich ihn wieder los gelassen hatte.
„Schau mal!" hastig streckte ich meine Finger nach dem braunen Umschlag aus und kramte den Ausweis hervor.
Er sah sich das Dokument genau an und nach einigen Augenblicken nickte er anerkennend. „Sehr gut geworden. Ich hab da auch noch was für dich."
Erst da erkannte ich den schwarzen Koffer neben ihm und das kleine Papier darauf.
Ein Flugticket! Ich betrachtete es genauer. Es war ein first Class Ticket.
„Danke.." flüsterte ich kaum hörbar.
„Bist du bereit Amelie?" seine Stimme ist kratzig und als er mir in die Augen sah, funkelten sie ein wenig.
„Bin ich" erwiderte ich fest und stand auf.

16:00 Uhr stand auf dem Ticket. Noch 5 Stunden!

Der Koffer, den Nick mitgebracht hatte, war bis zum oben hin mit Kleidung vollgestopft worden. Diesen trugen wir gemeinsam zu der alten Klapperkiste, die sich Auto schimpfte und fuhren dann zu einem kleinen lokalen Supermarkt, um noch ein paar letzte wichtige Dinge zu kaufen. Zahnbürsten, Shampoos und natürlich etwas Schokolade für die Nerven.
Die Kapuze meines schwarzen Hoodies hatte ich mir während des kurzes einkaufes tief in mein Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden, aber meine Sorge war unbegründet gewesen, denn niemand hatte mich beachtet. Selbst der mürrische Verkäufer hatte mich nur kurz angesehen und mir einen schönen Tag gewünscht.
Den würde ich sicherlich haben!
Mittlerweile saß ich breit grinsend neben Nick im Auto und wir fuhren zum Flughafen.


Dunkles Verlangen [✔️] Where stories live. Discover now