VIII. Paralysiert

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"Du kannst dich nicht selber finden, indem du in die Vergangenheit gehst. Du findest dich selber, indem du in die Gegenwart kommst."

-Eckhart Tolle-

Magnus Pov

'Alexander ist schwul?
Warum trifft mich diese Nachricht gerade eiskalt und heimtückisch, wie der schicksalhafte Pfeil bei Achilles? Wie soll ich mich jetzt verhalten? Ihm auch sagen, dass ich auf Männer stehe?'

Die ganze Situation überfordert mich regelrecht, zu gern würde ich augenblicklich aus diesem Zimmer stürmen, doch damit würde ich Alexander nur verletzten, das wäre das Letzte, was ich möchte. Noch immer weiß ich nicht, was gestern Abend mit ihm los war.

"Alec, willst du uns nicht vorstellen?", kommt es jetzt von seiner Schwester, die sich selbst aus ihrer aufdringlichen Umarmung, mit Alexander, löst.
Gut, dass ich Einzelkind bin. Hätte ich eine Schwester, die mich eiskalt outet, würde ich sie zu Hause dem Nachbarshund als Vier-Gänge-Menü servieren.
Sicher hat sie es unabsichtlich getan, dennoch kann ich gerade keine Sympathie für sie empfinden.

Die Ähnlichkeit mit Alexander ist unverkennbar, dasselbe füllige schwarze Haar, nur das Izzys bis zu ihren wohlgeformten Hüften reicht.
Jede weibliche Rundung sitzt am richtigen Fleck, so wie Alexanders Muskeln den perfekten Einklang bilden. Auch die tiefblauen Augen sind mir nicht entgangen, wie könnten sie das?

Die Männer müssen regelrecht Schlange bei ihr stehen, aber wie es aussieht, hat sie den Richtigen noch nicht gefunden.
"Magnus, Izzy, meine Schwester.
Izzy, Magnus, mein Mitbewohner", stellt uns Alexander nun knapp vor.
Er vermeidet dabei bewusst den Blickkontakt mit mir.
'Mitbewohner' wird Izzy ihm wohl kaum abkaufen, da ich es auch nicht tue.
'Was muss wohl gerade in ihm vorgehen?'

"Freut mich, Magnus", grinst Izzy mit wackelnden Augenbrauen und streckt mir ihre grazile Hand entgegen. Ihre perfekt manikürten Fingernägel strahlen in einem glänzenden Silber.
"Ganz meinerseits", erwidere ich mit einem falschen Lächeln.
'Stört es sie nicht, dass sie hier gerade unerwünscht ist?'

"Weißt du Izzy, Alexander und ich müssen uns noch fertig machen. Was hältst du davon, wenn du dir schon mal den Campus anschaust und wir uns in einer Stunde wieder hier treffen? Dann schmuggeln wir dich in unsere erste Vorlesung", schlage ich vor und hoffe inständig, dass sie einwilligt. Wenn ich Alexander so etwas Zeit für sich verschaffen kann, ist es das allemal wert.

"Wirklich? Oh Magnus, vielen Dank!", kreischt sie schon fast und fällt mir euphorisch um den Hals, während Alexander mich dabei
verständnislos mustert.
Lächelnd zwinkere ich ihm zu, doch er wendet verlegen den Blick ab.

Bevor sie das Zimmer verlässt, gibt sie ihrem Bruder noch einen herzhaften Schmatzer auf die Wange.
"Guck nicht so mürrisch, Brüderchen, davon bekommst du nur Falten", mahnt sie ihn an.
"Bis später, das wird toll!", ruft sie uns noch im Gehen zu und schließt die Tür hinter sich.

"Bist du verrückt? Wir können sie nicht mitnehmen", platzt es jetzt aus Alexander heraus. Seine Brust hebt und senkt sich schnell, seine Hände sind krampfhaft zu Fäusten geballt.
"Ganz ruhig, wird gar keiner merken", versuche ich ihn zu beruhigen. Ungewohnt auf der anderen Seite zu stehen, sonst bin ich immer derjenige, der sich nicht bändigen kann.

"Außerdem wird Izzy Mr. Graymarks Unterricht nicht gerade als spannende Unterhaltung empfinden. Danach schleppen wir sie dann in die überfüllte Mensa und wenn sie das nicht abschreckend findet, weiß ich auch nicht", erkläre ich mich und weihe Alexander in meinen teuflischen Plan ein.

" Oh", bringt Alexander nur heraus, überrascht darüber, dass ich ihn nicht ins offene Messer laufen lasse. Ich weiß nicht, ob ich deswegen beleidigt sein soll, aber in Anbetracht der Situation, will ich mal nicht so pingelig sein.
"Die ersten großen Campusparties steigen erst morgen, sodass sie davon auch nichts mitbekommen wird", setze ich nochmal nach, um Alexander gänzlich auf meine Seite zu ziehen.

Nachtwandeln 🌔Where stories live. Discover now