XIII. Tiefe Abgründe

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"Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er dabei nicht selbst zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."

Friedrich Nietzsche

Magnus' Pov

"Was macht deine Schwester schon wieder hier, Alexander?"
"Keine Ahnung", antwortet er leicht atemlos, während wir mit schnellen Schritten zurück zu Simons Wohnheim gehen.

"Bitte versteh mich nicht falsch. Izzy scheint ein wirklich netter Mensch zu sein, wenn sie nicht gerade jemanden outet."
"Ja, das war so typisch Izzy. Manchmal denkt sie einfach nicht nach und überlässt ihren Gefühlen das Handeln", seufzt Alexander bei dem Gedanken an Izzys ersten Besuch bei uns.

"Haben wir beide das nicht auch gerade getan? Von mir aus können wir das jederzeit wiederholen."
Alexander stoppt bei meinen Worten und betrachtet mich verträumt, fast so als würde er jetzt erst realisieren, was wir noch vor wenigen Minuten getan haben.

"Hätte nichts dagegen", murmelt Alexander mit rauer Stimme und fixiert meine Lippen, setzt dann aber eine ernste Miene auf.
"Später", flüstere ich verstehend und strecke zaghaft meine Hand nach Alexanders aus. Ich muss nicht lange auf eine Vereinigung unserer Finger warten. Hastig zieht er mich mit sich und ich habe Mühe mit ihm Schritt zu halten.

Die Party ist immer noch im vollen Gange, als wir uns auf den Fluren zwischen betrunkenen Studenten hindurch quetschen. Es ist noch voller geworden, die Musik dröhnender und die Kommentare einiger noch niveauloser.

Alec schreibt zwischendurch mit Simon und folgt dessen Wegweisungen. Schließlich finden wir Simon und Izzy in einem kleinen Zimmer auf dem Bett sitzend. Izzy lehnt mit ihrem Kopf an Simons Schulter und hat die Augen geschlossen. Ihre Stirn glänzt, ein leichter Schweißfilm hat sich gebildet.

"Izzy!", ruft Alexander besorgt und hastet zu den beiden. Ich bleibe dicht hinter ihm stehen und beobachte die Szenerie schweigsam. Irgendetwas stimmt nicht, ich kann es an Simons Blick sehen. Die Schuld und Verzweiflung in seinen Augen ist unverkennbar.

Alec kniet sich vor die beiden und streicht seiner Schwester liebevoll über die Wange.
"Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass das passiert", spricht Simon mit zittriger Stimme zu uns.
"Izzy?"
"A-Alec", erwidert Alexanders Schwester stockend und öffnet träge ihre braunen Augen. Die gesunde Röte auf ihren Wangen ist verschwunden.

"Was ist passiert?", erkundigt sich Alexander.
"Wir haben Textnachrichten geschrieben und ich hab' Izzy von der Party erzählt, habe ihr geschrieben, dass ich wünschte, sie wäre auch hier", beginnt Simon zu erzählen.

"Kurzerhand ist sie dann in ihr Auto gestiegen und hierher gefahren. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Als sie hier eingetroffen ist, haben wir uns einfach nett unterhalten. Ich wollte nur kurz etwas zu trinken holen, aber als ich zurückkam hatte Izzy bereits einen Drink in ihrer Hand und unterhielt sich mit einigen Studenten. Anschließend haben wir etwas getanzt und Izzy wurde plötzlich schwindelig.

Sie sagt, sie hatte nur einen Vodka Energy. Ich glaube, man hat ihr etwas in ihren Drink getan", schlussfolgert Simon.
Alexander nickt Simons Geschichte verstehend ab und erhebt sich.
"Wir bringen sie erstmal in unser Zimmer", verkündet er und wendet seinen Blick zu mir.
Er sieht müde aus und kleine Sorgenfalten lassen sein Gesicht um einige Jahre altern.

Ich nicke zustimmend und gehe Alexander zur Hand Izzy vom Bett aufzuhelfen und sie zu stützen.
"Ich komme mit", kommentiert Simon.
"Nein. Wir kommen klar, Simon.", stellt Alexander klar. Eine ungewohnte Kühle liegt in seiner Stimme. Er wirkt gefasst, aber ich bin mir sicher, dass es in seinem Inneren tobt.

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