III. Fluchtgedanken

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"Viele scheitern an der wahren Liebe, weil ihre Angst, sich dem Anderen zu öffnen, größer ist als die Sehnsucht nach Nähe und Vertrauen und die schlechten Erfahrungen stärker sind als die besten Hoffnungen."

Unbekannt

Alecs Pov

Hochkonzentriert versuche ich dem Vortrag von Professor Aldridge über Stern- und Planetenentstehung zu folgen, doch immer wieder ertappe ich mich dabei, wie meine Gedanken abschweifen.

"Du bist neu in diesem Kurs, oder?", höre ich eine männliche Stimme neben mir flüstern.
"Ja, heute ist mein erster Tag."
"Dann herzlich willkommen. Wenn du irgendwie Hilfe oder Mitschriften benötigst, sprich mich einfach an."
"Danke", antworte ich knapp, ohne den Blick von meinem Notizblock zu nehmen.
"Ich bin übrigens Simon. Simon Lewis", stellt sich mir mein Sitznachbar in Astronomie jetzt vor.

Ich brauche einen Moment, um zu registrieren, was er da gerade gesagt hat und wende mich ihm verblüfft zu.
"Lewis? Bist du zufällig mit Rebecca Lewis verwandt?", frage ich ihn frei heraus und mit böser Vorahnung.

"Wow, dein erster Tag und du kennst schon meine Schwester? Was hat sie jetzt wieder angestellt?", erkundigt sich Simon seufzend. Offensichtlich bereitet sie ihren Mitmenschen des Öfteren Probleme.
"Sie ist echt deine Schwester?", vergewissere ich mich ungläubig. Simon wirkt im Gegensatz zu Rebecca eher wie der Inbegriff eines Nerds. Seine braune Retrobrille rutscht ihm ständig von seiner knöchrigen Nase. Unbeholfen versucht er sie mit seinem Mittelfinger wieder nach oben zu schieben.

"Ja. Du bist nicht der erste, der mich so anschaut. Wir sind sehr verschieden, nicht nur äußerlich. Ich weiß, man muss etwas suchen, aber hat sie ein gutes Herz", lächelt er liebevoll.
"Ah ja", erwidere ich skeptisch und hoffe, dass Simon nicht noch einmal nachfragt, woher ich seine Schwester kenne.

"Meine Eltern haben sich letztes Jahr getrennt, seitdem versucht Rebecca bei jeder Gelegenheit zu rebellieren. Für sie waren meine Eltern immer der Inbegriff wahrer Liebe", erklärt mir mein Sitznachbar.
'Warum erzählt er mir solche persönlichen Dinge? Erwartet Simon das jetzt auch von mir?'

"Ich bin Alec, Alec Lightwood.", versuche ich schnell das Thema zu wechseln und gebe meiner neuen Bekanntschaft höflich die Hand.
Wie es aussieht, knüpft man hier schneller Kontakte, als auf der High School.

Die verbleibende Zeit des Unterrichts quasselt Simon über irgendwelche Fantasy Online Games, vermutlich weil ich einmal 'interessant' gemurmelt habe. Das hat man nun von seiner geheuchelten Höflichkeit.
Dem Professor scheint es gar nichts auszumachen, dass die Mehrheit in seinem Kurs schläft, quatscht oder sich ausgiebig mit ihrem Smartphone beschäftigt.

"Hier meine Nummer, wenn du mal Lust auf einen Zockermarathon hast."
"Danke, Simon." Leicht verlegen nehme ich den kleinen zerknitterten Zettel mit seiner Nummer entgegen und verabschiede mich mit einem gezwungenem Lächeln.

Vielleicht könnte sich Simon Lewis noch als nützlich erweisen, denke ich mir noch, als ich den Hörsaal verlasse.
Zumindest kann es nicht schaden, dadurch seine Schwester etwas im Auge behalten zu können.

Wie die Hyänen stürmen die hungrigen Studenten in die lichtdurchflutete Mensa. Schon jetzt sind nur noch vereinzelte Plätze frei. Ich beschließe ein paar Snacks vom Frischwaren Automaten zu holen und mir draußen, auf der Campuswiese, ein ruhiges Eckchen zu suchen.

"Wir haben auch eine Mensa mit richtigen Tischen und Stühlen", ruft mir jemand aus unmittelbarer Nähe zu, als ich mich über mein Mittagessen hermache.
Es ist Magnus.
Mit geschmeidigem Gang steuert er geradewegs auf mich zu.
"Ich hab's nicht so mit Stühlen", antworte ich ihm mit einem schiefen Lächeln und beiße genießerisch in mein Sandwich.

Nachtwandeln 🌔Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon