VIV. Loyalität

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"Der Schmerz, der uns zugefügt wird, ist nicht die schwerste Last des Lebens. Viel schwerer legt sich eines Tages auf unsere Schultern der Schmerz, den wir anderen zugefügt haben."

-Herman Bang-

Alecs Pov

Ich bin froh, dass ich Magnus jetzt nahe sein und umarmen kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Immerhin hat er währenddessen fast ausschließlich geschlafen. Doch auch jetzt, wo seine Glieder sich langsam regen und er diese unvergesslichen Augen für mich öffnet, verharrt Magnus in meinen Armen. Er scheint meine Nähe wirklich zu genießen.
'Hätte Magnus mich sonst geküsst?'

Ein liebliches Lächeln umspielt seine Lippen, als sich unsere Blicke treffen. Schon jetzt habe ich mich viel zu sehr daran gewöhnt, morgens neben ihm aufzuwachen.

Sehnsüchtig verstärke ich den Griff um Magnus und vergrabe meine Nase in seinen Haaren. Wieder strömt mir sein vertrauter süßlicher Geruch in die Nase, der ihn immer umgibt. Noch nie habe ich mich bei jemandem so geborgen gefühlt, so verstanden, ganz ohne Worte.

"Es ist warm", murmele ich mit Schlaf belegter Stimme. Vermutlich liegt es daran, dass ich Magnus gerade krampfhaft an mich presse, doch nur, weil ich diesen Moment solange wie möglich festhalten will.
"DU-bist-warm", kichert Magnus gegen meinen Hals. Sein heißer Atem haucht zärtlich über meine empfindliche Haut und sorgt für einen weiteren Temperaturanstieg in meinem Inneren.

"Ist das so?", frage ich verwundert.
"Mmmh. Ist mir schon nach unserer ersten Nacht aufgefallen."
Unsere erste Nacht. Ich habe Magnus in meinen Armen gewogen, seine Haare gekrault, über seinen nackten, makellosen Rücken gestreichelt, nur einige Stunden nachdem ich ihn kennengelernt hatte.

"Wirst du gerade rot?", wispert Magnus. Tatsächlich spüre ich die Hitze in meinem Gesicht, ein klares Zeichen für die verräterische Röte.
"Vielleicht", murre ich ertappt.
Magnus leichte Vibrationen von einem unterdrückten Lachen bringen mich zum Grinsen.

Er hat ein schönes Lachen, auch wenn ich es noch viel zu selten bei ihm gesehen habe. Wie gern würde ich Magnus häufiger unbeschwert sehen. Es ist fast so, als würde eine dunkle Gewitterwolke über seinem Kopf schweben und das nahende Unwetter androhen, bereit jeden schönen Augenblick zu verschlingen.

"Morgen."
"Guten Morgen, Alexander."
"Wie geht es dir?", erkundige ich mich zögerlich. Magnus hat mir letzte Nacht wirklich Angst gemacht und das Schlimmste für mich war, dass ich ihm nicht helfen konnte.

"Alles gut, mach dir keine Gedanken."
"Wie könnte ich nicht? Du bist mir wichtig und das letzte Nacht... Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt", gebe ich energisch zu und löse mich etwas von Magnus, doch nur so viel, um in sein hübsches Gesicht blicken zu können. Zärtlich streichle ich ihm mit meinem Daumen über seinen Wangenknochen. Ein süßes Seufzen entgleitet ihm, bei dieser sanften Berührung.

"Wie lange passiert dir das schon?"
"Seit ich neun bin", antwortet Magnus leise.
"Als das mit dem Schlafwandeln begonnen hat?"
"Ja."
"Das ist eine lange Zeit."
"Das stimmt."
"Steht diese Paralyse mit dem Schlafwandeln in Verbindung?", hake ich neugierig nach.

"Nicht direkt, ich denke, die Ursache ist dieselbe, doch während mein Körper beim Schlafwandeln voll funktionsfähig ist, verfällt er bei der Paralyse in eine totale Starre. Es sind beides von der Norm abweichende Schlafreaktionen", erklärt mir Magnus.
"Das bedeutet, du kennst die Ursache?"

Magnus schweigt.
Mir ist, als wäre ich wieder zu einem gewissen Punkt vorgedrungen, an dem Magnus nicht weiß, ob er auf Kampf oder Flucht schalten soll. Ich möchte ihn nicht drängen, er soll es mir erzählen, wenn er bereit dafür ist. Vielleicht hilft es ihm, wenn er darüber spricht, vielleicht wird es mir helfen, wenn ich über meine inneren Dämonen spreche. Schon viel zu lange trage ich diese schwere Last mit mir herum, statt sie einfach loszulassen, bevor sie mich in die Tiefe zieht.

Nachtwandeln 🌔Where stories live. Discover now