XX. Alles auf Anfang

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"Irgendwann musst du dich entscheiden, ob du nur eine Seite umblätterst oder ein ganz neues Buch anfängst."

-Unbekannt-

Alecs Pov

"Heute befassen wir uns mit Theorien und Aussagen renommierter Wissenschaftler", verkündet Professor Aldridge euphorisch.
Wohlig lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und bereite mich auf einhundertzwanzig Minuten endloser Träumerei vor, in denen ich ungehemmt an Magnus denken kann. Daran, wie nah wir uns gestern waren.

Noch vor wenigen Monaten dachte ich daran, es einfach mit einem Wildfremden zu tun, nur um es hinter mich zu bringen. Nie hätte ich mir erträumt, mich Hals über Kopf in meinen Zimmernachbarn, auf dem College, zu verlieben und in wenigen Wochen all das nachzuholen, was ich in neunzehn Jahren nicht geschafft hatte oder zu dem mir einfach der Mut fehlte.

Viele Menschen würden uns für verrückt halten, wenn wir ihnen unsere Geschichte erzählen würden und ich müsste ihnen recht geben. Wir sind verrückt. Verrückt nacheinander. In meinem ganzen Leben hat sich nichts derart echt und rein angefühlt, wie die Zeit, die ich mit Magnus verbringe. Meine Liebe zu ihm ist wahrhaftig und gedeiht jeden Tag mehr.

Egal, was das Leben noch für uns bereithalten mag, ich bin bereit. Zusammen mit Magnus scheint mir nichts unmöglich. Das wurde mir heute Morgen wieder bewusst, als er
noch friedlich in meinen Armen schlief. Ich war so glücklich diesen Moment für mich zu haben, um ihn ungestört betrachten zu können.
Wie von selbst fanden meine Fingerspitzen ihren Weg in Magnus' weiche Haare, massierten seine Kopfhaut, so wie er es mag, so wie ich es schon in unserer ersten Nacht getan hatte.

So viele dunkle Gewitterwolken schwebten seit Anfang an über uns, doch die Sonne hat bis zum bitteren Ende gekämpft, letztlich gesiegt und die Dunkelheit vertrieben.
Als homosexuelles Paar wird es nicht immer leicht sein, das ist mir bewusst, aber es lohnt sich, nicht aufzugeben. Für Magnus und mich hat es sich gelohnt.

"Die DNA ist der Träger des Lebens in den Körpern, und die Galaxien sind Inseln des Lebens im Universum. Nicht umsonst haben beide eine gemeinsame Zahl: Die DNA besteht aus einhundert Milliarden Atomen und eine gewöhnliche Galaxie aus ebenso viel Milliarden Sternen. Was sagen uns diese Worte von Werner Braun?", höre ich den Professor auffordernd zu seinem Publikum sprechen.

Vergeblich versuche ich mich mit einhundertneunzig Zentimetern in meinem Stuhl unsichtbar zu machen und rutsche unbewusst weiter Richtung Versenkung. Nur beiläufig habe ich Mr. Aldridges Worten gelauscht, die mich sonst immer gefesselt haben, doch derzeit scheint so vieles an Bedeutung verloren und manches an ungeahnter gewonnen zu haben.

"Was sagt uns das?", hakt er erneut nach, nachdem niemand Anstalten macht, sich an einer Konversation zu beteiligen.
"Mr. Wayland? Vielleicht können Sie uns heute mit einer aufschlussreichen Antwort überraschen?"
Ein junger Mann, zwei Reihen vor mir, mit gegelten blonden Haaren und schwarzer Lederjacke kratzt sich unwissend am Hinterkopf. Interessiert warte ich darauf, wie er sich elegant aus dieser Lage heraus manövriert, denn er scheint echt keinen Plan zu haben.

"Einhundert Milliarden Sterne? Krass viele Klunker am Himmel würde ich sagen."
Ich komme nicht umher, herzlich zu lachen. Mit dieser Antwort habe ich wirklich nicht gerechnet. Nachdem sich auch die anderen Kommilitonen im Saal wieder beruhigt haben und allmählich Ruhe einkehrt, wandert der Blick des Professors schweifend zu mir.

"Ah ja, sehr aufschlussreich. Vielleicht könnten Sie das nächste Mal so strahlend mit einer tiefsinnigeren Antwort glänzen, wie die Sterne in der Nacht funkeln", erwidert er wenig erfreut über Waylands Kommentar.
"Noch jemand mit einer Idee?" Hoffnungsvoll durchdringt er mich mit seinem Blick und mich überkommt schlagartig das schlechte Gewissen, weil ich heute so gar nicht bei der Sache war.

Nachtwandeln 🌔Where stories live. Discover now