XIV. Des Glückes Schmied - Teil II

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Alecs Pov

"Mom? Magnus? Was macht ihr hier?"
Ein seltsames Bild, beide nun in meinem alten Zimmer zu sehen. Es sieht noch genauso aus, wie ich es verlassen habe. Die Zeit scheint still zu stehen und all die dunklen Gedanken und Gefühle, die ich versucht habe, in diesem Raum weg zu sperren, prasseln gerade schonungslos auf mich ein.

Das Atmen fällt mir stetig schwerer. Mein Blick fällt auf ein Foto, in der Hand meiner Mutter, das mir nur allzu vertraut ist.
'Haben sie über Julian gesprochen?' Magnus weiß von ihm, doch kann ich mir nicht denken, weshalb er und meine Mutter hinter meinem Rücken über ihn sprechen sollten.

Samen der Wut keimen in mir auf. Ich schäme mich dafür, dass ich gerade so empfinde, mich wieder einmal hilflos und schwach fühle. So wollte ich nie wieder sein. Der Alec, der damals dieses Haus verlassen hat, sollte nie wieder zurückkehren. Doch jetzt trägt er meine Kleidung, meine Schuhe, die ihm wie angegossen passen, übernimmt sämtliche Kontrolle.

"Ich habe mich verlaufen. Maryse ist meiner Fährte gefolgt", antwortet Magnus zögerlich und mit einem schiefen Lächeln. Ein falsches und ängstliches Lächeln.
'Hat er Angst vor mir?'
Ich stocke bei dieser Erkenntnis, merke sofort, wie sich meine angespannte Mimik verändert und meine geballten Fäuste erschlaffen.

"Bleibt ihr über Nacht? Es ist alles vorbereitet", erkundigt sich Mom. Der Gedanke daran, in diesem Zimmer zu nächtigen, ist plötzlich unerträglich. Gerade als ich ihr Angebot dankend ablehnen möchte, unterbricht sie mich.

"Ihr könnt gern in einem der Gästezimmer schlafen, die Betten sind größer und sie werden ohnehin nie genutzt."
"Was meinst du?", wende ich mich an Magnus.
"Klingt doch gut, oder?", fragt er vorsichtig. Ich ringe mich zu einem milden Lächeln durch. Magnus liest mich vermutlich gerade wie ein offenes Buch. So, wie er es immer tut.

"Gästezimmer klingt gut", stimme ich zu und sehe die Erleichterung im Gesicht meiner Mutter.
"Schön. Ich sehe mal nach den anderen", verkündet sie.
Mir entgeht nicht, dass sie noch immer das Foto von Julian und mir in der Hand hält, als sie das Zimmer verlässt. Doch gerade gilt meine volle Aufmerksamkeit Magnus.

"Ach und Magnus?"
Moms Kopf lugst nochmal ins Zimmer. "Das Badezimmer ist gleich nebenan", zwinkert sie fröhlich und verschwindet anschließend aus unserem Blickfeld.

Ich mache einen Schritt auf Magnus zu, will ihn berühren. Nur das brauche ich gerade. Ihm scheint es nicht so zu gehen, denn er weicht beim Versuch ihm näher zu kommen zurück.

"Magnus?"
Er schluckt sichtlich schwer und wirkt selbst überrascht über seine abwehrende Reaktion. Seine Hände suchen Halt an meinem alten Schreibtisch, umklammern die Kante des harten Holzes krampfhaft.

Ich halte in meiner Bewegung inne und bleibe auf Abstand.
"Es tut mir leid. Für einen Moment drohte ich wieder zu fallen. Dieses Zimmer...", versuche ich ihm zu erklären, weiß aber nicht, ob meine Worte für Magnus überhaupt irgendeinen Sinn ergeben.
"Erzähl mir davon."

Ich ringe mit mir. Wäge Für und Wider ab, Magnus Einblick in meine verkorkste Gefühlswelt zu geben.
"Alexander, sprich mit mir", flüstert er bittend.
Seufzend blicke ich mich um, steuere auf meinen Kleiderschrank und die daneben stehende Kommode zu. Kommentarlos ziehe ich die Schubladen auf und öffne die schweren Türen des Schrankes.

"Ich habe kaum etwas aus diesem Zimmer mitgenommen, wirklich nur das Nötigste", erkläre ich Magnus und greife nach einem dunkelblauen Anzug, der ordentlich auf einem silbernen Bügel hängt. Eine hellblau glänzende Krawatte ragt heraus, ist mit dutzenden dunklen Sprenkeln benetzt.

Verwirrung breitet sich in Magnus Gesicht aus.
"Diesen Anzug trug ich am Tag meiner Abschlussfeier. Wusstest du, dass es nahezu unmöglich ist, getrocknetes Blut aus einer Seidenkrawatte zu bekommen?"
Keine Reaktion auf meine absurde Frage.

Nachtwandeln 🌔Where stories live. Discover now