XVIII. Meilensteine - Teil II

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Alecs' Pov

"Ich dachte, du wärst ein Zockerass, Simon? Komm schon, mach es mir nicht zu einfach", kichere ich siegessicher und lehne mich in jede Kurve, als ob ich höchstpersönlich über den erhitzen Asphalt brettern würde.

"Vielleicht habe ich nur Mitleid mit dir und lasse dich deshalb gewinnen", erwidert Simon Zähne knirschend und klammert sich krampfhaft an seinen Controller.
"Ja, wer's glaubt", lache ich und dränge Simons McLaren kurz vor dem Ziel gekonnt von der Fahrbahn.

Mit erhobenem Haupt passiere ich nach fünfzehn Runden die schwarzweiß karierte Zielgerade und reiße meine Arme in die Höhe, feiere meinen glorreichen Sieg und bin gleichzeitig überrascht, dass ich es immer noch drauf habe. Es ist eine Weile her, dass ich mich dieser Art der Freizeitbeschäftigung hingegeben habe.

"Verdammt. Wir hätten doch FIFA zocken sollen, darin hätte ich dich locker geschlagen", murrt Simon und pfeffert seinen Controller in die nächstgelegene Ecke.
Zu witzig, wie er gerade schmollt. Ich sollte mich wohl zeitnah für eine Revanche erbarmen.

"Vielleicht beim nächsten Mal. Ich sollte mal nach Magnus sehen, er hat sich noch nicht gemeldet. Langsam mache ich mir Sorgen", erwidere ich und stehe schwerfällig vom harten Boden auf. Meine Knie knacken bei der Bewegung und ich fühle mich plötzlichen um vierzig Jahre gealtert.

"Vermutlich braucht er noch etwas Zeit für sich", murmelt Simon betrübt und scheint plötzlich mit seinen Gedanken ganz weit weg.
"Hast du den Brief gelesen?", frage ich Simon frei heraus und hole ihn damit in die Gegenwart zurück.
"Nein, aber ich hatte ein sehr langes Gespräch mit Rebecca und bin mir sicher, dass sie bei Magnus ebenso ehrlich war, wie bei mir", murmelt er mit gesenktem Blick.

"Woher willst du wissen, dass es die Wahrheit war?", hake ich skeptisch nach.
"Sie ist meine Schwester. Brüder wissen so etwas", macht er deutlich und ist in Sekundenschnelle auf den Beinen. Ich kann seinen Blick nicht ganz deuten. Er ist fordernd und flehentlich zugleich.

"Hast du Izzy geschrieben?"
Seit Magnus' Unfall hat Izzy nicht ein Wort über Simon verloren, doch ich weiß, dass sie leidet. Zwar versucht sie es zu verstecken und ihren Mitmenschen das Bild einer taffen. jungen Frau zu präsentieren, doch ich weiß, dass auch Izzy Momente des Zweifelns hat. Simon ist ein guter Kerl und ich würde mich wirklich freuen, wenn er meine Schwester glücklich machen würde, auch wenn er so gar nicht in ihr bisheriges Beuteschema passt.

Verlegen wendet Simon bei meiner Frage den Blick ab und starrt wie gebannt zum Fenster. In wenigen lautlosen Schritten steht er vor der gläsernen Scheibe und betrachtet die vielen kleinen Eiskristalle, die sich bei jeder Berührung auflösen, ohne eine Spur in dieser Welt zu hinterlassen. Es schneit. Der erste Schnee in diesem Jahr und dennoch kann ich gerade keine wirkliche Freude darüber empfinden.

"Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es ist kompliziert, Alec", murmelt er beschämt. Unbewusst schüttele ich mit dem Kopf und atme hörbar laut aus.

"Ist es nicht. Vielleicht ist die Situation gerade nicht ganz einfach, aber es ist nicht kompliziert. Wenn ihr darüber reden würdet...", setze ich vorsichtig an, doch Simon unterbricht mich abrupt.

"Und was glaubst du, kann ich sagen, dass es einfacher für uns beide wird?", fragt er mich kühl und lacht dabei freudlos.
Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Simon muss die richtigen Worte für sich selbst finden. Tief in seinem Herzen hat er sie bereits formuliert. Er muss ihnen nur eine Stimme geben.

"Ich mag Izzy wirklich, aber das mit Rebecca...", Simons Stimme bricht ab und ich merke, wie sehr auch ihm die ganzen Umstände zu schaffen machen.
"... Hat nichts mit dir zu tun", vervollständige ich Simons Aussage. "Nur weil du und Rebecca Geschwister seid, macht Izzy dich nicht für den Unfall verantwortlich."
"Hat sie das gesagt?", fragt Simon überrascht und dreht sich zu mir um.

Nachtwandeln 🌔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt