XIV. Die richtige Therapie - Teil I

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"Gesundheit ist weniger ein Zustand als eine Haltung. Und sie gedeiht mit der Freude am Leben."

-Thomas von Aquin-

Alecs Pov

Als ich noch ein kleiner Junge war, gab es eine Zeit, in der ich große Verlustängste hatte. Jedes Mal, wenn meine Eltern abends ausgingen, hatte ich Angst, dass ich sie nie wieder sehen würde. Ich klammerte mich wie ein Ertrinkender an meine Mutter und weinte ganz bitterlich.

Meine Grandma hatte dann immer die ehrenwerte Aufgabe mich ins Bett zu bringen und zu beruhigen. 'Manchmal müssen wir unsere Ängste loslassen, damit wir wachsen und uns weiterentwickeln können.', sagte sie immer.

Gerade in diesem Moment gilt meine größte Furcht, dass ich Magnus verliere. Ich habe nicht einmal ein Bild von ihm, keine dauerhafte Erinnerung und ich möchte doch noch so viele mit ihm schaffen.

"Alexander?", höre ich meinen Namen gedämpft zu mir durchdringen. Nur Magnus nennt mich Alexander und ich weiß, dass er es nicht sein kann, der ihn gerade sagt.

Izzy stupst mich an, als ich nicht reagiere und lässt mich mit wässrigem Blick aufschauen. Vor mir steht ein großer, eleganter Mann mit grau-silbernem Haar. Sein Gesicht wirkt dennoch jung. Allerdings zieren tiefe Sorgenfalten sein Gesicht.

"Alexander?"
"J-Jaa?", erwidere ich mit zittriger Stimme.
"Ich bin Ragnor Fell, Magnus' Onkel", stellt er sich vor und reicht mir die Hand.
"Mir wurde mitgeteilt, dass du und deine Schwester hier wartet."

"Tut mir leid, dass man euch nicht zu ihm gelassen hat."
"Sie halten sich nur an die Vorschriften und da wir nicht zur Familie gehören...", antworte ich gespielt verständnisvoll.
"Aber das tut ihr. Für Magnus seid ihr genauso Familie, wie ich es bin", lächelt Ragnor liebevoll.

"Magnus hat mir viel von euch erzählt", fährt er weiter fort. Ich wusste nicht, dass Magnus' Onkel von uns weiß. Er ist so verständnisvoll. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es meine Eltern ebenso sind, wenn sie die Wahrheit über mich erfahren. Schon so oft wollte ich es ihnen sagen, doch immer fehlten mir im entscheidenden Moment die richtigen Worte.

"Wie geht es ihm?", erkundige ich mich zögerlich, denn die Angst und der Schock sitzen noch tief.
"Er ist noch nicht aufgewacht. Die Ärzte sagen, er hat unheimliches Glück gehabt, nicht selten gehen solche Stürze tödlich aus.
Magnus hat diverse Prellungen, eine große Platzwunde am Hinterkopf und eine mittelschwere Gehirnerschütterung. Alles weitere kann man erst nach einigen Tests sagen", klärt uns Ragnor auf.

"Können wir jetzt zu ihm?", erkundige ich mich voller Hoffnung.
"Ja, aber nur kurz. Ich habe bereits mit den Ärzten gesprochen, sie werden euch auf die Besucherliste setzen."
"Danke, Mr. Fell."
"Oh bitte, Ragnor reicht völlig", macht er klar und fixiert Izzy, neben mir.

"Was ist mit deiner Hand passiert?", hakt er neugierig nach und mustert das blaue Kühlkissen auf ihrem Handrücken, das ich Izzy besorgt hatte, da ihre Hand mittlerweile leicht geschwollen ist. In all den Jahren habe ich nie erlebt, dass sich meine Schwester auf diese Weise zur Wehr gesetzt hat. Auch wenn ich Gewalt in keinster Weise gutheiße, bin ich nie stolzer auf meine kleine Schwester gewesen, als am heutigen Abend.

"Denkt gar nicht daran, mir eine fadenscheinige Lüge aufzutischen, ich würde sie kilometerweit riechen", verkündet Ragnor und nimmt uns gleichzeitig den Wind aus den Segeln.
"Ich habe die Person geschlagen, die für Magnus' Zustand verantwortlich ist", beichtet Izzy.

Ragnor mustert uns beide nachdenklich, bevor er antwortet.
"Wie geht es dieser Person jetzt?", erkundigt er sich.
"Ich hoffe sie leidet Höllenqualen, aber vermutlich bleibt es nur bei einer blutigen Nase", schnaubt Izzy.

Nachtwandeln 🌔Where stories live. Discover now