Er kommt. Bald!

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Thor stand auf einer grossen Wiese und wunderte sich, wie er hergekommen war. Er konnte sich nicht erinnern, den Weg auf sich genommen zu haben. Trotzdem war er da. Was wollte er hier?

Seine Augen schweiften herum und entdeckten nichts Aussergewöhnliches. In der Ferne – in sehr weiter Ferne – sah er die Umrisse der Stadt mit den hohen Bergen im Hintergrund. Alles wirkte so friedlich und ruhig. Fast so, als ob es niemals eine Hela gegeben hätte. Oder die beinahe erfolgreiche Auslöschung seiner gesamten Rasse.

Einen Moment lang saugte er den Frieden in sich auf, ehe er sich zur Ordnung mahnte. Wie immer er her gelangt sein mochte: er hatte anderes zu tun als auf der faulen Haut zu liegen und sich einen schönen Tag zu machen!

Gerade wollte er sich kopfschüttelnd zurück zum Palast begeben, als er plötzlich Schritte hinter sich hörte. Er wandte den Kopf und entdeckte eine alte Frau, eine Greisin, um genauer zu sein. Sie ging langsam und benutzte einen Stock, um nicht hinzufallen. Ihr schlohweisses Haar stand ihr etwas wirr vom Kopf ab. Das runzlige Gesicht war ernst und verschlossen, als sie auf den blonden Donnergott zutrat.

Ihre Augen jedoch wirkten überraschend jung und zeitlos.

«Thor.» sagte sie mit leicht kratzender Stimme. «Wie schön, dich endlich kennen zu lernen.»

Der Blonde war verblüfft und fand keine schlaue Antwort auf die Worte.

«Ah, ist es nicht herrlich hier?» Die Alte liess den Blick schweifen. «So friedlich, nicht wahr?»

Thor fand seine Sprache wieder. «Wer bist du?»

«Nenn mich Luitgard.» Die Alte kicherte leise. «Obwohl ich viele Namen habe... Und dieser mir eben erst eingefallen ist.» Ein neues Kichern. «Namen können magisch sein, weisst du. Man tut gut daran, den eigenen nicht jedem zu nennen.»

Thors Gesicht war ein einziges Fragezeichen und er schwankte zwischen zwei Empfindungen: Amüsement und Gereiztheit.

Er hatte eigentlich keine Zeit für verrückte alte Weiber!

«Und was willst du nun von mir, Luitgard?» bemühte er sich um ein Anzeichen von Interesse. In Gedanken war er allerdings beim Wiederaufbau des Hauptflügels im Palast.

«Dich warnen.» Die Alte kam näher und packte seinen Arm. «Die Zeit rückt näher und du bist immer noch nicht bereit.»

Die Frau musste definitiv nicht ganz richtig im Kopf sein! Thor versuchte dennoch, ruhig und einigermassen freundlich zu bleiben. «Wovor auch immer du mich warnen möchtest, Luitgard...» hob er an, doch sie unterbrach ihn.

«Er kommt! Schon bald! Und er wird immer stärker. Er hat schon zwei Steine und wird bald noch mehr in die Finger bekommen. Es gibt kaum noch einen Weg, ihn zu stoppen, bevor er seine ganze Macht besitzt. Das heisst...» Sie holte tief Atem, stemmte die eine Hand in die Seite und schloss: «...dass du verflixt noch eins endlich deine ganze Kraft entfalten solltest, ehe es zu spät ist!»

«W... was?» Thor blinzelte verwirrt. Wovon um alles in der Welt sprach diese Verrückte?

«Du bist der einzige, der ihn töten kann! Aber du musst deine ganze Kraft dafür einsetzen. Und du Dummerchen weisst noch nicht mal, was das heisst. Nach all den Jahrhunderten hast du immer noch nicht die leiseste Ahnung wie stark du wirklich bist! Also lerne es endlich!» Sie hob ihre Stimme noch mehr an. «Lerne! Oder wir sind alle verloren!»

Thor riss der Geduldsfaden. Er packte die Alte am Arm und neigte sein Gesicht zu ihr herunter. «Sprich Klartext: wer kommt? Von welchen Steinen in seinem Besitz redest du? Und was meinst du damit: ich kenne meine wahre Kraft nicht?» Die letzte Frage klang schneidend scharf.

Lokis Punishment - Lokis StrafeWhere stories live. Discover now