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Manch einer würde die Ruhe in einem Hörsaal, während einer Prüfung als beängstigend beschreiben. Vielleicht, weil sie einem bewusst machte, dass man eine gewisse Punktzahl erreichen wollte, oder aber auch die Sorgen verstärkte durch eine wichtige Prüfung zu fallen. Ich hingegen schätzte diese Ruhe. Wenn ein jeder konzentriert über seinen Aufgaben saß, entspannte ich mich, konnte all das um mich herum vergessen und mich vollkommen auf das fokussieren, was wirklich von Bedeutung war. In diesem Fall, die aktuelle Klausur zum Thema Werkstoffe in der Kunst. Ich blickte ein letztes Mal über den bereits vollständig ausgefüllten Bogen vor mir, während ich auf den Beginn der Abgabezeit wartete. Als es endlich so weit war, legte ich den Stift endgültig zur Seite, atmete ein letztes mal tief durch, ehe ich mich erhob und die wenigen Stufen zu meinem Professor hinab ging.

»Miss Martens, ich habe nichts anderes erwartet,« seufzte dieser, als er meinen Bogen entgegennahm.

»Ich habe eben viel Zeit zum Lernen.«

»Vergessen Sie dabei aber nicht, Kunst lebt von den kleinen Augenblicken, also leben Sie auch ein paar davon.«

Wie oft sagte man mir, dass ich mich nicht nur hinter meinen Büchern verstecken sollte, dabei tat ich dies gar nicht. Jedoch übertrieb ich es nicht. Ich war keine von denen gewesen, die ihr erstes Semester nur auf Partys verbrachten und das Studieren nur an zweite Stelle stellten. Ich fand schnell meine perfekte Balance, zwischen dem Lernen und Zeit mit meinen neuen Freunden, was mir einen kleinen Vorsprung in meinem Studium verschaffte. Zumal ich es mir auch gar nicht erlauben konnte, nachlässig zu sein. Denn zu meinem Glück hatte ich ein Stipendium ergattern können und müsste mir später weniger Gedanken machen, wie ich den Studienkredit abbezahlen wollte. Allerdings musste ich hierfür auch durchweg gute Leistungen erbringen.

Erleichtert trat ich vor den Hörsaal. Diese Prüfung würde ich ebenfalls bestehen und damit waren mir auch diese wichtigen Credits sicher.

»Da ist meine liebste Streberin ja«, lachte Rick und reichte mir einen Kaffee. Es war schön, von einem Freund nach einer Klausur so empfangen zu werden. Vor allem mit einem Kaffee.

»Das liegt ja nur daran, dass Fiona und Laura keine Streber sind.« Ich nahm den Kaffee entgegen und nippte an dem schwarzen Gold, welches in den langen Lernnächten schon mehr als nur ein Lebensretter gewesen war.

»Es gibt eben Menschen, die studieren, weil sie es weit bringen wollen, und dann gibt es die, die noch nicht so genau wissen, wo sie hinwollen.« Er zuckte mit den Schultern und schenkte mir sein süßestes Lächeln. Wenn man jetzt meinte, dass ich dahin schmelzen müsste, irrte man. Denn wir teilten viele Vorlieben, vor allem jedoch die für Männer.

»Und dann gibt es dich, der hier auf dem Campus zu leben scheint und keiner weiß, warum und wie lange du schon da bist.« Ich stieß meinen liebsten Freund leicht in die Seite. Ein Schmunzeln breitete sich auf seinen schmalen Lippen aus, welches kurz darauf bis zu seinen hellen braunen Augen reichte. Ich mochte diese kleinen Lachfältchen um seine Augen. Sie verliehen Rick das gewisse Etwas. Ein bisschen wie bei George Clooney.

»So lange hier eine gute Seele gebraucht wird, kann ich leider noch nicht gehen.« Ein bisschen theatralisch, aber so war er manch mal. Eigentlich war Rick bereits im letzten Semester und saß an seiner Masterthesis. Jedoch schien er sich nicht ganz damit abfinden zu können, den Campus zu verlassen und dieses Leben als Student hinter sich zu lassen. Wer konnte es ihm verübeln. Diese Zeiten würden nie wieder kommen, wenn wir erst einmal in der Arbeitswelt fußgefasst hatten.

»Ich hoffe ja, dass du den Campus noch vor mir verlassen wirst.«

»Bei deinem Tempo muss ich mir echt Sorgen machen, dass du mich noch überholst.«

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